Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe wird sich bestätigt fühlen: Mit Verhandlungen ist der Farc nicht beizukommen. Nicht Reden hilft, sondern nur Gewalt. Mit militärischer Stärke hat er die größte Guerilla des Landes in die Defensive gedrängt. Jetzt hat die Armee - mit logistischer Unterstützung der USA - die prominenteste Geisel der Rebellen befreit. Nie sah die Farc so schwach aus wie nach diesem militärischen Schlag. Verhandlungen aber haben sie stets nur stärker gemacht.
Der Präsident mit der harten Hand
Doch trotz einer Reihe von Niederlagen ist es schwer zu ergründen, wie schwach die Farc tatsächlich ist. Unter Uribes Amtsvorgänger Andrés Pastrana war die Lage paradoxer Weise noch übersichtlich. Drei Jahre lang hat damals die Regierung mit der Guerilla um einen Friedensvertrag verhandelt - letztlich vergeblich. Die Aufständischen nutzten diese Zeit der relativen Ruhe, um sich zu stärken. Sie hatten bis zu 20.000 Mann unter Waffen und kontrollierten zeitweise gut die Hälfte des Landes. 2002 kam Uribe an die Macht. Seither wird nicht mehr geredet, sondern nur noch geschossen. Die Farc zog sich in den Dschungel zurück, und dort ist sie noch heute.
Die Rebellen dachten zunächst, sie könnten Uribe einfach aussitzen. Als er das Präsidentenamt antrat, sah die Verfassung nur eine einzige vierjährige Amtszeit vor. Doch Uribe ließ - wie man heute weiß, mit dem Einsatz von Bestechungsgeldern - die Verfassung ändern und sich selbst für weitere vier Jahre wählen. Erst vor ein paar Tagen hat die Regierung verkündet, sie wolle Uribe mit der Hilfe eines Referendums eine noch längere Herrschaftszeit ermöglichen. Ein Coup wie die Befreiung von Betancourt passt dem Präsidenten da bestens ins Konzept: Seine Beliebtheit wird genauso weiter steigen wie die Unterstützung für seine Politik der harten Hand.
Vier Jahre hätte die Farc in ihren Dschungelcamps einfach abwarten können. Doch acht oder gar zwölf Jahre, das ist zu viel. Zumal Uribe den Aufständischen heftig zusetzt. 9.000 Mann hätten sie heute nur noch unter Waffen, behauptet die kolumbianische Armee. An manchen Fronten der Rebellen herrsche Hunger und Verzweiflung. Doch solche Zahlen und Behauptungen sind nicht sehr glaubwürdig. Sie dienen in erster Linie der Regierungspropaganda. Man erinnere sich nur an die Geschichten, die vor wenigen Wochen über Ingrid Betancourt kursierten und mit denen letztlich nur Druck auf die Farc ausgeübt werden sollte. Die prominente Geisel stehe kurz vor dem Tod hieß es damals. Im Vergleich zu diesen Meldungen sah sie gestern bei ihrer Befreiung verhältnismäßig frisch aus. Es ist nicht anzunehmen, dass sie von der Farc für ein paar Wochen in Kur geschickt wurde.
Der starke Mann ist weg
Aber alle Propaganda beiseite. Tatsache ist, dass die Farc schwere Schläge erlitten hat. Im März starb ihr legendärer Führer Manuel Marulanda an einem Herzinfarkt. Im Mai wurde sein Stellvertreter Raúl Reyes bei einem Bombardement auf sein Rückzugslager in Ecuador getötet. In der selben Woche wurde eine weitere Führungsfigur von seinen eigenen Leibwächtern ermordet. Und jetzt fehlt der Farc mit Betancourt und drei gleichzeitig befreiten US-Amerikanern das wichtigste Druckmittel für Verhandlungen.
Der schwerste Schlag war sicher der Tod von Marulanda. Er war die Integrationsfigur der bäuerlich geprägten Truppe. Er stammte selbst aus kleinbäuerlichen Verhältnissen und war nach sechzig Jahren bewaffnetem Kampf längst ein lebender Mythos. Reyes war sein politischer Stratege, der bei allen Verhandlungen mit der Regierung die Feder führte. Der zum neuen Farc-Chef bestimmte Alfonso Cano ist weder sagenumwoben, noch hat er den Stallgeruch und die Bauernschläue von Marulanda. Er ist ein Intellektueller aus der Stadt, keine Vaterfigur für die ländlichen Rebellen. Schon als seine Wahl bekannt wurde, mutmaßten Farc-Kenner, er werde es schwer haben, sich durchzusetzen und die Truppe zusammen zu halten. Die Befreiung von Betancourt wird ihn weiter schwächen.
Die Vervielfältigung des Terrors
Uribe sieht seine Chance, die Farc nach über 40 Jahren Bürgerkrieg zu zerschlagen, und es scheint so, als wolle er sie eiskalt nutzen. Doch die Strategie ist gefährlich. In den achtziger Jahren war es nicht die Farc, die den kolumbianischen Staat bedrohte. Es waren drei große Drogenkartelle. Nach Jahren blutiger Auseinandersetzungen ist es Armee und Polizei gelungen, diese Kartelle zu zerschlagen und ihre führenden Köpfe wie Pablo Escobar in spektakulären Verfolgungsjagden zu töten. Es war ein Pyrrhussieg. Statt dreier großer Kartelle gibt es heute rund 160 kleine, und die sind viel schwerer zu kontrollieren. Die Drogenproduktion hat deshalb nicht ab-, sondern zugenommen. Allein im vergangenen Jahr ist die Anbaufläche für Koka um 27 Prozent gestiegen.
Gelingt es Uribe, die Farc zu zerschlagen, droht Kolumbien in der Auseinandersetzung mit Rebellen ein ähnliches Szenario: Statt einer großen Guerilla, mit der man vielleicht auf politischem Weg den Krieg beenden könnte, wird es unzählige kleine bewaffnete Gruppen geben, die sich - mehr oder weniger politisch motiviert - mit Überfällen, Entführungen und Mord durchs unkontrollierbare Hinterland schlagen. Dass sie aufgeben würden, ist mehr als unwahrscheinlich. Zumindest nicht, so lange Alvaro Uribe Präsident ist. Von ihm haben sie nichts zu erwarten als den Tod.