Last Call Der „Lumbersexual“, der neue Mann. Oder: Ich bin dann mal in

Last Call: Der „Lumbersexual“, der neue Mann. Oder: Ich bin dann mal in

Mode ist nicht mein Ding. Ich verstehe nichts davon, habe aber größten Respekt vor Menschen, die sich mit Mode gut auskennen. Vor einigen Jahren musste ich einmal über die Fashion Week in New York berichten. Es war ein Desaster. Seitdem habe ich noch mehr Respekt vor Leuten, die sich mit Mode auskennen.

Nun ist es so, dass mode-affine Menschen in England und den USA, behaupten, der neueste Typ Mann sei der „Lumbersexual“. Er sei damit der Nachfolger des Hipsters, von dem ich bis heute nicht genau weiß, was er so macht und wofür er steht. Nicht mal Wikipedia weiß das richtig. Und Wikipedia weiß ja sonst immer alles. In einem Aufsatz des Institutes für Jugendkulturforschung stand vergangenes Jahr, dass Hipster vielleicht selbst gar nicht wissen, dass sie welche sind: „…Was den Hipster auszeichnet, ist der Umstand, dass er sich selbst nie als einen solchen benennen würde, es sei denn im Duktus ironischer Distanzierung von dieser Kultur.“ Grundsätzlich handelt es sich beim Hipster offenbar um einen Subkulturstamm junger, kreativer Nonkonformisten, der bevorzugt im New Yorker Stadtteil Williamsburg und im Londoner Osten anzutreffen war und ist. Einige Hipster halten sich offenbar auch in Berlin auf. Ob es Hipster in Norwich, Uppsala, Roermond oder Hückeswagen gab oder gibt, ist nicht überliefert.

Der Hipster wurde im Übrigen schon mehrmals für reichlich tot erklärt. Erstmals 2007 vom US-Magazin „Time Out“, danach von der „Basler Zeitung“ 2010, die offenkundig in Basel keine finden konnte. Und zuletzt im Sommer vom Londoner „Guardian“, der sich sogar die Mühe machte zwischen „Hipstern“ und „Proto-Hipstern“ zu unterscheiden. Die einen machen alles nach, was die anderen vorgeben. So ungefähr jedenfalls. Es spielt auch keine Rolle mehr. Denn der Hipster ist ja jetzt out.

Ein Holzfällerhemd kostete zehn Dollar. Das erklärt mein Faible

Ich bin jedenfalls froh, dass der „Lumbersexual“ den Hipster endlich ablöst. Ich bin deshalb froh, weil ich zum ersten Mal im Leben modetechnisch offenbar mitspiele. Unabsichtlich und durch puren Zufall, aber immerhin und besser als nie. Der „Lumbersexual“, habe ich gelesen, trägt vornehmlich Holzfällerhemden. Die galten mal, Sie erinnern sich, als total unmodisch, passten insofern zu mir, und aus dieser Zeit besitze ich noch welche und trage sie sogar zuweilen. Sie sind ein Überbleibsel aus unserer Zeit in den USA. Ein Holzfällerhemd kostete ungefähr zehn Dollar. Das erklärt mein Faible für sie.

Früher machten sich die Kolleginnen im Büro lustig über meine Hemden, weit, bequem und warm. In ihren Augen war ich ein hoffnungsloser Fall. Das könnten sie heute nicht mehr sagen. Denn: Ich bin dann mal in. Man muss nur lange genug warten, um mal in zu sein. In meinem Fall ungefähr 30 Jahre.

Der Begriff „Lumbersexual“ geht natürlich auf Lumberjack zurück, Holzfäller. Er sei, stand in der London „Times, ein US-Import und ein „Woody Guthrie oder Bob Dylan im karierten Hemd“. Ein Waldmensch, „der Distanz zwischen sich und Konsumdenken legen möchte, in dem er sich wie ein moderner und zugleich proletarischer Minnesänger verkleidet“. Der Branchendienst „Gearjunkie“ definiert den neuen Mann als eine Fortsetzung des Hipsters mit anderen Mitteln. Er neige wie sein Vorgänger zum Bar-Hopping, könne aber eben auch eine norwegische Fichte umhauen. Falls gerade eine in der Nähe ist, am besten gleich neben der Bar. Außer Holzfällerhemden aus Flanell trägt er Jeans, Boots und Vollbart (wie der Hipster) und besitzt ein Smartphone (wie alle). Der „Lumbersexual“ baut gerne Hütten im Garten, in denen er Fleisch oder Fisch räuchert, kann aber immerhin sehr offen über seine Gefühle reden. Nicht alles trifft auf mich zu. Ich habe keinen Vollbart, verkleide mich auch nicht als proletarischer Minnesänger, und die Räucherei im Garten ist mitten in London eher schwierig. Über meine Gefühle reden, kann ich immerhin. Vielleicht bin ich also nur ein halber „Lumbersexual“, wer weiß.

Last Call: Vier Lumbersexuals mit karierten Hemden und Bärten nach der Definition von "Gearjunkies"
Vier Lumbersexuals mit karierten Hemden und Bärten nach der Definition von "Gearjunkies"

Die Frage ist natürlich, wer sich so einen Unfug ausdenkt. Und wer bestimmt, wer wann in und wer out ist. Irgendwer muss ja beschlossen haben, das erst der Metrosexual (David Beckham, Cristiano Ronaldo) out sind und nun die Hipster.

Die Frage ist: Was passiert nun mit den ganzen Hipstern?

Neulich waren wir wieder mal in Shoreditch, im Osten von London. Shoreditch ist die Heimat der hiesigen Hipster. Die Hipster hier, erklärte mir ein Freund und Fotograf, der viel mit Hipstern gearbeitet hat, erkenne man speziell in Shoreditch daran, dass sie ihre Bärte sehr pflegen und auch ihre Jeans mit Löchern drin und dass sie in hippen Hotel-Lobbys sitzen, Latte mit Sojamilch trinken, in Lofts wohnen und einen Vinylplattenspieler besitzen. In Shoreditch gibt es von dieser Sorte Mann eine ganze Menge. Sie arbeiten dort in schicken Läden und verkaufen zum Beispiel löchrige Jeans für sehr viel Geld. Einer bietet sogar Workshops an, wie man löchrige Jeans herstellt und sie dann so flickt, dass sie sehr hipstermäßig aussehen. Der Jeans-Hipster erzählte, dass er sich das Klamottenflicken von seiner Oma hat erklären lassen. Und die Oma war nicht mal Hipster. Wahrscheinlich fehlte ihr nur der Bart.

Last Call: Hipster in Shoreditch vor einem Laden, in dem geflickte Jeans verkauft werden Foto: Horst Friedrichs
Hipster in Shoreditch vor einem Laden, in dem geflickte Jeans verkauft werden Foto: Horst Friedrichs

Ich fragte mich natürlich, was nun mit diesen ganzen Hipstern geschieht, die erst so mir-nichts-dir-nichts hipp waren und jetzt so mir-nichts-dir-nichts nicht mehr hipp sind. Vielleicht wissen sie noch gar nicht, dass sie gar nicht mehr in sind. Aber vielleicht mache ich mir auch zu viel Gedanken und die Hipster müssen gar nicht traurig sein. Sie sollten sich nur ein Holzfällerhemd kaufen, den Vollbart verwildern lassen, im Garten Fisch oder Fleisch räuchern und dabei über ihre Gefühle reden. Ein paar Hemden aus altem Bestand würde ich glatt spenden. Sie müssen sich nur beeilen. Sonst sind wir alle bald schon wieder out.