Madeleine Albright "Hillary hat ihre Lektion gelernt"

Sie war Bill Clintons Außenministerin und ist eine enge Freundin seiner Frau. Madeleine Albright über den US-Wahlkampf und Amerikas Probleme in und mit der Welt.

Madam Secretary, wer wird Präsidentschaftskandidat der Demokraten: Barack Obama oder Hillary Clinton?

Ich bin zuversichtlich, dass Hillary Clinton gewinnt, doch es ist noch ein langer Weg. Die meisten Staaten wählen ja am 5. Februar. Aber all die Experten, die Hillary schon abgeschrieben hatten, schauen jetzt dumm aus der Wäsche.

Die haben geradezu genussvoll über ihr nahendes Ende geschrieben.

Journalisten drängten mich förmlich dazu, sie für erledigt zu erklären, obwohl ich anderer Meinung war. New Hampshire war ein sehr wichtiger Sieg für Hillary.

In South Carolina gilt Obama wieder als Favorit. Kann Clinton sich weitere Niederlagen leisten?

Natürlich. Am 5. Februar wird in 23 Staaten gewählt, vielleicht gibt es auch danach noch keinen Sieger. Es ist ein spannendes Rennen, ein großes Schauspiel der Demokratie.

Sie sind Hillarys gute Freundin. Hat sie sich in den vergangenen Wochen verändert?

Hillary ist sehr stark und zielstrebig und wie befreit nach dem Sieg in New Hampshire, aber sie hat auch ihre Lektionen aus der Niederlage in Iowa gelernt. Sie hat sich den Menschen wirklich gestellt. So hat sie auch schon ihre erste Senatswahl in New York gewonnen, nachdem man sie schon abgeschrieben hatte.

Amerika schien für Wochen in einem Obama- Rausch zu sein. Wie erklären Sie sich das?

Ich glaube eher, die Medien waren im Rausch, weil die Journalisten nur noch untereinander gesprochen haben.

Aber braucht Amerika nicht einen echten Neuanfang, einen jungen, inspirierenden Präsidenten wie Obama?

Ich habe kein Problem mit Obama. Ich glaube einfach, dass Hillary die bessere Präsidentin wäre. Sie hat die meiste Erfahrung auf jenem Gebiet, in dem ich mich auskenne, der Außenpolitik. Überall dort, wo Präsident Bush in den vergangenen sieben Jahren gescheitert ist, kann sie den Wandel herbeiführen.

Clintons Erfahrung wird stets hervorgehoben. Aber das bewahrte sie nicht davor, gravierende Fehlentscheidungen zu treffen. Sie hat für den Irak-Krieg gestimmt.

Sie hat nicht die falsche Entscheidung getroffen. Sie hat Präsident Bush nur den Rückhalt gegeben, damit er vor die Vereinten Nationen treten konnte. Bush gelang dort ein großer diplomatischer Erfolg, Waffeninspektoren durften wieder in den Irak. Danach machte er seine Fehler.

Sie selbst waren die erste Frau an der Spitze des Außenministeriums. Wie wichtig ist Ihnen das - eine Frau im Weißen Haus?

Wir brauchen die beste Person. Und dieses Mal ist die beste Person eine Frau. Mit Hillary schreiben wir Geschichte. Es ist an der Zeit, dass wir eine Präsidentin bekommen, auch Deutschland hat schon eine Kanzlerin. Wir Amerikaner sind immer stolz darauf gewesen, die Ersten in allem zu sein. Zu mir haben die Menschen in der Welt oft gesagt: Wir wollen auch eine Madeleine haben.

Sie gehören zu den schärfsten Kritikern von Präsident Bush. Wenn Sie auf Ihrem Computer schreiben, so sagt man, käme da Dampf raus, so verärgert seien Sie.

Ich war stolz, Amerikanerin zu sein und bin es noch immer. Ich wurde in der Tschechoslowakei geboren. Dass ich die Vereinigten Staaten vertreten durfte, macht mich sehr stolz. Ich glaube an das Gute amerikanischer Macht. Aber in den vergangenen sieben Jahren musste ich mitansehen, wie unser Land nicht mehr geachtet, sondern gefürchtet wurde. Man muss ja nur Abu Ghreib und Guantánamo sagen. Es macht mich verrückt, dass wir Alleingänge für besser hielten als das gemeinsame Vorgehen mit unseren Freunden. Der Niedergang amerikanischer Führungsstärke ist aus persönlicher Sicht sehr traurig - und aus professioneller Sicht erschütternd.

Ist das reparabel?

Ich bin Realist. Schnell wird das nicht gehen. Die Jugend weiß nichts darüber, wie wir Europa von den Nazis befreit haben oder wie wir nach dem Krieg der Welt wieder auf die Füße geholfen haben. Ich spreche oft mit Freunden, vor allem aus Deutschland, sie wollen, dass Amerika wieder zurückkommt. Aber ich mache mir nichts vor, es wird sehr schwer, diesen Schaden zu reparieren.

Sie kennen Washington so gut wie kaum ein anderer. Klären Sie uns auf: Ist Vizepräsident Cheney nicht der eigentliche Chef der Bush- Regierung?

Das ist das, was jeder vermutet.

Aber Sie stehen doch weiter in engem Kontakt mit dem Außenministerium.

Nein, das tue ich nicht. Aber Fakt ist, dass Cheney einen sehr viel größeren Stab hat als alle Vizepräsidenten vor ihm. Er scheint tatsächlich Politik zu formulieren. Und das alles hinter den Kulissen. Der Nationale Sicherheitsrat ist unter ihm eine Art Schattenorganisation geworden.

Sind Sie enttäuscht von Ihrer Nachfolgerin Condoleezza Rice?

Das Urteil müssen andere fällen. Wie Sie wissen, war mein Vater ihr Professor an der Universität Stanford. Ich kann nur sagen, dass wir wohl sehr unterschiedliche Dinge von ihm gelernt haben.

Sie vergleichen den derzeitigen Zustand der Politik mit einem Erdbeben.

Ich meine vor allem den Nahen Osten. Der Irak wird in die Geschichte eingehen als das größte Desaster amerikanischer Außenpolitik. Schlimmer als Vietnam. Nicht was die Zahl der Toten angeht, aber die Folgen: das Chaos in der Region. Der Iran ist dadurch plötzlich zu einem bedeutenden Faktor geworden. Wir wurden abgelenkt vom Kampf gegen den Terrorismus. Unsere Beziehungen zu Russland, Indien, China haben sich verschlechtert.

Hillary Clinton und alle anderen Kandidaten der Demokraten wollen den Krieg sofort nach Amtsübernahme beenden. Ist das realistisch?

Noch ist es ein Jahr bis dahin. Sollte die neue Offensivstrategie unserer Armee tatsächlich funktionieren, könnten die Iraker ihr Land wieder übernehmen und wir unsere Truppen abziehen mit Ausnahme einiger Einheiten, die zur Terrorbekämpfung und zum Schutz der Amerikaner und eventuell der Kurden dort bleiben.

Ist derzeit nicht Pakistan der viel größere Brandherd?

Pakistan ist im Augenblick der gefährlichste Ort der Welt. Das Land vereint alle Elemente, die international am meisten Kopfschmerzen bereiten: Terrorismus, Atomwaffen, Fundamentalismus, Korruption, Armut. Wir sollten die Menschen Pakistans unterstützen: die Anwälte, die auf die Straße gehen, der zivilisierte Teil der Gesellschaft, die unabhängigen Gerichte. Bush hat gesagt, Präsident Musharraf sei ein zuverlässiger Partner. Ich bezweifle das.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch "Amerika, du kannst es besser", dass die USA sich stärker auf Deutschland stützen sollten. Warum?

Deutschland ist die Brücke zwischen Ost und West, eine Wirtschaftsmacht im Zentrum Europas, aber vor allem schätze ich den besonnenen Ansatz. Aus meiner Zusammenarbeit mit Joschka Fischer weiß ich, wie viele positive Ergebnisse man erzielen kann, wenn man an einem Strang zieht. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, oft diskutiert und Probleme zum Beispiel auf dem Balkan konstruktiv lösen können. Das war vorbildlich.

Sie wünschen sich also mehr Macht für Deutschland?

Ich habe den ständigen Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat schon während meiner Amtszeit vorgeschlagen. Das würde die Machtstruktur nach dem Kalten Krieg widerspiegeln.

Sind Sie immer noch dafür?

Absolut.

Würden Sie auch einer Präsidentin Clinton dazu raten?

In jedem Fall.

Sie bezeichnen Amerika und Europa gern als Cousins einer Familie. Handelt es sich nicht mehr und mehr um eine Familie, die auseinanderbricht?

Zum Teil ja. Wir begreifen nicht mehr, dass wir gemeinsame Werte haben und zusammen so viel bewirken könnten in der arabischen Welt, in der Atomwaffenfrage, beim Kampf gegen den Terror. Es ist Luxus, sich nicht zu mögen. Dies ist einerseits Amerikas Schuld, denn wir haben Europa nicht als gleichwertigen Partner behandelt. Es ist aber auch Europas Schuld. Ihr hinterfragt einfach viel zu viel, diese ständige Selbstanalyse ist nicht besonders effektiv. Es gibt da einen treffenden Spruch: Du kannst die Pflanze nicht ständig aus dem Boden ziehen, um nachzusehen, ob sie wächst.

Fühlen Sie sich nicht manchmal selbst noch als Europäerin? Sie kamen erst als Elfjährige nach Amerika.

Ich bin der Inbegriff der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Ich frage mich noch immer, was europäisch und was amerikanisch an mir ist. Amerikanisch ist mein Optimismus, ich bin keine Skeptikerin.

Und was an Ihnen ist europäisch?

Ich bin ein bisschen zu ernst und analytisch. Über die Feiertage habe ich den "Zauberberg" noch mal gelesen. Ich habe Weihnachten also mit Thomas Mann verbracht und über die Krankheiten Europas nachgedacht und was davon geblieben ist.

Sie geben in Ihrem Buch dem kommenden Präsidenten eine Menge Ratschläge. Einer davon ist: Halte dich fit. So wie Präsident John Quincy Adams das getan hat, als er nackt im Potomac badete.

Bitte kein Nacktbaden. Sie werden es kaum glauben, aber ich treibe jetzt selbst Sport, dreimal in der Woche. Ich schaffe heute fast 200 Kilo an der Beinpresse. Gestern bin ich um Mitternacht aus Colorado zurückgekehrt und saß heute Morgen um fünf Uhr schon an den Geräten. Auf den nächsten Präsidenten wartet eine Menge Arbeit. Man bewältigt das nur, wenn man sich bewegt. Und damit meine ich nicht, Sport zu treiben, um sich vor der Arbeit zu drücken.

So wie Präsident Bush?

Ja.

Interview: Jan Christoph Wiechmann

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