Trotz der Ankündigung von Reformen durch die libysche Führung eskaliert die Lage in der Hauptstadt Tripolis . Demonstranten zündeten Polizeireviere und öffentliche Gebäude in verschiedenen Teilen der Stadt an, wie Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP sagten. Die Bundesregierung forderte Deutsche im Land zur Ausreise auf, erste EU-Staaten entsandten Flugzeuge für Evakuierungen. Auch in der Stadt Ras Lanuf sollen Proteste gegen die Regierung ausgebrochen sein, und in einem Vorort von Tripolis steht nach Reuters-Angaben eine Polizeiwache in Flammen.
Bei den Protesten gegen Staatschef Muammar el Gaddafi verwüsteten Demonstranten nach Zeugenangaben das Gebäude eines staatlichen Radio- und Fernsehsenders in Tripolis. In der Nähe des Stadtzentrums stand demnach der sogenannte Saal des Volkes in Flammen, ein großes öffentliches Versammlungsgebäude. Während der Nacht seien in der Stadt immer wieder Schüsse zu hören gewesen.
Viele Städte angeblich in Hand der Demonstranten
Die in Paris ansässige Internationale Föderation der Menschenrechtsligen (FIDH) teilte mit, "viele Städte" wie Bengasi und Surt seien in der Hand der Demonstranten, weil Soldaten sich den Protesten angeschlossen hätten. Mehrere Tunesier, die aus Libyen geflüchtet waren, sagten AFP, die libysche Polizei habe die Stadt El Sawia westlich von Tripolis verlassen. Nach FIDH-Angaben wurden seit dem Beginn des Aufstands vor einer Woche 300 bis 400 Libyer getötet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach von mindestens 233 Toten.
Gaddafis Sohn Seif el Islam warnte vor einem Bürgerkrieg mit tausenden Toten und kündigte Reformen an. Das libysche Parlament werde schon bald zusammentreten, um neue Strafgesetze sowie Reformen bei Presse- und Bürgerfreiheiten zu verabschieden, sagte er in der Nacht zum Montag in einer Fernsehansprache. Gleichzeitig machte er deutlich, dass sein Vater nicht abdanken werde.
Unterdessen begann der Zusammenhalt innerhalb des Regimes zu bröckeln. Nachdem der ständige Vertreter Libyens bei der Arabischen Liga, Abdel Moneim el Honi, bereits am Sonntag seinen Posten niedergelegt und sich den Protesten angeschlossen hatte, entschieden sich am Montag auch Libyens Botschafter in Indien und ein ranghoher Diplomat in China zu diesem Schritt. Letzterer rief im Fernsehsender El Dschasira das gesamte diplomatische Korps auf, sich seinem Rücktritt anzuschließen.
Angela Merkel bestürzt über die Gewalt
Am Nachmittag trat dann laut einem Zeitungsbericht der libysche Justizminister zurück - aus Protest gegen die "exzessive Gewalt gegen Demonstranten". Ein hoher islamischer Geistlicher rief etwa zeitgleich zur Rebellion gegen Gaddafi auf. Dies sei jedermanns Pflicht.
Die Bundesregierung verurteilte die Gewalt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "bestürzt" und appelliere an die politisch Verantwortlichen, Versammlungsfreiheit zu gewähren und "den Dialog mit der Bevölkerung" zu suchen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ähnlich äußerten sich die USA und die Arabische Liga. Das Auswärtige Amt hatte am Sonntag eine Reisewarnung herausgegeben und deutschen Bürgern die Ausreise empfohlen.
Wegen der Unruhen zieht der Elektrokonzern Siemens Mitarbeiter aus dem Land ab. Der Konzern organisiere derzeit die Ausreise der ausländischen Mitarbeiter, die in Libyen beschäftigt seien, sagte ein Sprecher am Montag in München. Es handle sich um rund 100 Mitarbeiter. Siemens betreibe in Libyen etwa Umspannungswerke oder Schaltanlagen und erziele in dem Land einen Jahresumsatz von rund 160 Millionen Euro.
Türkisches Kriegsschiff auf dem Weg nach Libyen
Nach Angaben der Regierung in Ankara türkische Unternehmen mit einem Wert von mehr als 15 Milliarden Dollar geplündert worden. Ein Logistik-Manager einer türkischen Baufirma berichtete der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon von einem Überfall in El Beyda im Osten Libyens. "Eine Gruppe hat unsere Baustelle angegriffen und Computer mitgenommen, aber sie haben uns nichts getan", sagte Hidir Yentur. "Unser Wasser geht zur Neige." Hunderte Türken sind seit dem Beginn des Aufstands gegen Machthaber Muammar Gaddafi ausgeflogen worden. Eine Istanbuler Fährreederei teilte mit, auf Bitte der türkischen Regierung seien zwei ihrer Schiffe nach Libyen unterwegs, die von einer Fregatte eskortiert werden.
Unterdessen diskutieren die EU-Außenminister in Brüssel einen Notfallplan für EU-Bürger in Libyen. Es gebe eine "Koordinierung" in der Frage, sagte Spaniens Außenministerin Trinidad Jiménez. Portugal und Österreich schickten erste Flugzeuge, um eigene und EU-Bürger auszufliegen. Seit Sonntag hatten bereits mehr als 2300 Tunesier das Land verlassen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ließ hingegen nach einem Telefonat mit Gaddafi mitteilen, dieser wolle für die Sicherheit türkischer Bürger sorgen.