El Pasos Bürgermeister Oscar Leeser blickt den kommenden Tagen mit äußerst unguten Gefühlen entgegen. In der mexikanischen Nachbarstadt Ciudad Juárez würden sich zwischen 8000 und 10.000 Migranten aufhalten, die in die USA gelangen wollten, sagt der texanische Politiker. Und weil eine "Karawane" mit weiteren Menschen auf dem Weg nach Ciudad Juárez sei, könnte es seine direkt an der Grenze zu Mexiko gelegene Stadt bald mit 12.000 bis 15.000 Neuankömmlingen zu tun haben.
Der Bürgermeister ist nicht der Einzige, der sich Sorgen macht. An der 3100 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko rechnen viele Verantwortliche mit einem Ansturm von Geflüchteten und Migranten, wenn am Donnerstag eine umstrittene US-Abschieberegelung ausläuft. Title 42 hatte seit März 2020 unter Verweis auf die Corona-Pandemie eine sofortige Abweisung von Asylsuchenden an der Grenze ermöglicht.
Restriktive Asylregel "Titel 42" läuft aus
Das Ende dieser unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump eingeführten Regelung dürften viele Menschen aus Süd- und Mittelamerika, die auf ein besseres Leben in den USA hoffen, als Beginn einer gelockerten Grenzpolitik interpretieren. Laut dem Nachrichtensender CNN schätzt die US-Regierung, dass sich mehr als 150.000 Migranten mit dem Ziel USA im Norden Mexikos aufhalten.
Schon jetzt sind die US-Behörden in Grenzstädten überfordert. In El Paso schlafen viele Migranten, die einer Abschiebung entgangen sind, auf den Straßen und suchen unter Tüchern Schutz vor der Sonne, Kinder betteln um Geld.
Auch in der zwölf Autostunden südöstlich gelegenen texanischen Grenzstadt Brownsville harren viele Menschen aus Zentralamerika und aus südamerikanischen Ländern wie Venezuela und Kolumbien auf den Straßen aus. Hier ist die Zahl der eintreffenden Menschen in den vergangenen zwei Wochen schon vor dem Auslaufen von Title 42 paradoxerweise angestiegen.
"Erschütternde Bilder": Berittene US-Grenzschützer treiben Flüchtlinge zurück

Zusätzliche Soldaten werden mobilisiert
Mayra Paredes von der Hilfsorganisation Team Brownsville sagt, bislang hätten sie und andere Helfer sich um rund 100 Migranten pro Tag gekümmert. Inzwischen seien es "jeden Tag zwischen 700 und 1000" Menschen. "Wir hatten große Angst, weil es heißt, dass sie einen nach dem 11. Mai nicht mehr durchlassen", sagt die 28-jährige Venezolanerin Dasling Sánchez, die nahe einer Tankstelle mit ihren zwei Kindern auf Kartons sitzt.
Denn während für die einen das Ende von Title 42 eine gelockerte Grenzpolitik bedeutet, fürchten andere fortan ein härteres Durchgreifen der Behörden. Die Regierung von Präsident Joe Biden hat angekündigt, sie werde weiterhin strikt gegen illegale Grenzübertritte vorgehen und zur Unterstützung des Grenzschutzes 1500 zusätzliche Soldaten mobilisiert.
Außerdem sieht das grundsätzliche US-Grenzschutzregelwerk - bekannt unter dem Namen Title 8 - Strafen bei illegalen Grenzübertritten vor. So können Migranten zu Gefängnis verurteilt werden und für fünf Jahre von einer möglichen legalen Einreise ausgeschlossen werden. Title 8 ist schon seit langer Zeit in Kraft, war es in den vergangenen Jahren parallel zu Title 42 und wird künftig wieder das zentrale Regelwerk zum Umgang mit Migranten und Asylsuchenden.

Sehen Sie im Video: Migranten an US-Grenze – Gestrandet im Niemandsland.
Politische Brisanz für Biden
Für Präsident Biden ist die Krise an der Grenze zu Mexiko politisch äußerst gefährlich – und die Grenzpolitik ein schwieriger Balanceakt. Die oppositionellen Republikaner werfen dem Demokraten vor, ungehindert hunderttausende Ausländer ins Land zu lassen, und schüren Ängste vor einer Zunahme von Kriminalität und Drogenproblemen. Ein Thema, mit dem sich trefflich Wahlkampf machen lässt.
Derweil wirft der linke Demokratenflügel Biden vor, sein Wahlkampfversprechen einer Abkehr von der harten Flüchtlings- und Migrationspolitik des Rechtspopulisten Trump gebrochen zu haben. Und während es schon seit langer Zeit Forderungen nach einer Reform des US-Einwanderungsrechts gibt, liegt eine Einigung von Demokraten und Republikanern im Kongress in weiter Ferne. "Die Bundeseinwanderungsgesetze sind kaputt", seufzt El Pasos Bürgermeister Leeser, während er sich auf die erwartete Ankunft tausender Migranten vorbereitet. "Es ist kein Ende in Sicht."