Nach der Wahl Streit um ein neues Wahlrecht in Großbritannien

Die Forderung nach einer Reform des veralteten Wahlsystems ist einer der Kern-Streitpunkte in den bevorstehenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung in Großbritannien. Wer will was im Streit um ein neues Wahlrecht?

Die Forderung nach einer Reform des veralteten Wahlsystems ist einer der Kern-Streitpunkte in den bevorstehenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung in Großbritannien. Die Liberaldemokraten, mögliche "Königsmacher", haben ein starkes Argument. Bei der Wahl am Donnerstag haben Tories und Labour zusammen nur 65 Prozent der Stimmen bekommen, aber 86 Prozent der Sitze eingeheimst. Viele Briten finden das ungerecht, weil beim Mehrheitswahlrecht nur der Stimmkreiskandidat mit einfacher Mehrheit gewählt wird. Die Stimmen für die Nächstplatzierten fallen unter den Tisch, selbst wenn sie nur knapp schwächer waren. Zweitstimmen für Parteienlisten wie in Deutschland gibt es nicht.

Wer will was im Streit um ein neues Wahlrecht?

KONSERVATIVE: Die Konservativen lehnen eine Reform des Wahlrechts bisher weitgehend ab. Nach außen hin begründen sie ihre Haltung damit, dass das Mehrheitswahlrecht mit nur einer Stimme pro Wähler in der Regel für stabile Mehrheiten sorgt. Proporz-Wahlsysteme - wie sie in Deutschland und fast überall in Europa üblich sind, führten zu "schwachen Regierungen", sagt Tory-Chef David Cameron. Unklar blieb zunächst, inwieweit er am Ende kompromissbereit sein könnte.

LIBERALDEMOKRATEN: Sie favorisieren das Single Transferred Voting (STV) System. Dabei wird anhand der Zahl der abgegebenen Stimmen eine bestimmte Grenze ermittelt. Der Wähler vergibt auf dem Wahlzettel Platzierungen für die Kandidaten der einzelnen Parteien. Erreicht ein Kandidat den Grenzwert mit Nummer-Eins-Platzierungen, ist er gewählt. Die überschüssigen Stimmen werden verteilt - und zwar auf die Kandidaten, die die Wähler des Siegers auf ihrem Zettel als Nächstplatzierte genannt haben.

Erreicht auf diese Weise wieder einer die Grenze, ist auch er gewählt. So geht es weiter, bis alle zu vergebenden Mandate besetzt sind. Die Wahlkreise würden erheblich größer als bisher, mehrere Kandidaten pro Wahlkreis würden gewählt. Eine Auszählung von Hand ist beim STV-System allerdings kaum noch möglich. Mit diesem System hätten die Liberaldemokraten bei der Wahl vor fünf Jahren 147 Sitze im Parlament errungen - tatsächlich waren es nach dem bisherigen System nur 62.

LABOUR: Die bisherige Regierungspartei würde eine Reform schlucken. Labour möchte ein ähnliches Ranking-System wie die Liberaldemokraten. Allerdings wird dabei kein Grenzwert festgelegt. Derjenige Kandidat der die schlechtesten Platzierungen von den Wählern bekommt, fällt raus, seine Stimmen werden entsprechend der Platzierungen auf die im Rennen verbliebenen Bewerber verteilt - solange bis ein Kandidat auf 50 Prozent kommt und damit gewählt ist.

Eine von Labour eingesetzte Reform-Kommission hatte ein solches System bereits 1998 vorgeschlagen. Der Vorschlag beinhaltete ergänzend, dass mit einer Zweitstimme ähnlich wie in Deutschland eine Parteiliste gewählt werden kann, über die 15 bis 20 Prozent der Mandate vergeben werden sollen. Damit Parteien nicht bestimmte Kandidaten "setzen" oder "absichern" können, sollen Wähler nicht nur die ganze Liste wählen können, sondern auch einzelne Kandidaten von dieser Liste. Dieser Vorschlag, den die Kommission unter Leitung des früheren EU-Kommissionspräsidenten Lord Roy Jenkins bereits 1998 vorgelegt hatte, könnte nach Auffassung von Beobachtern Grundlage für einen mögliche Kompromiss zwischen Konservativen und Liberaldemokraten sein.

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Michael Donhauser, DPA