Es wurde emotional im Repräsentantenhaus in Washington, D.C., als Nancy Pelosi – langjährige Anführerin der Demokraten und Vorsitzende der Kammer – am Donnerstag ihren Abschied verkündete. "Für mich ist der Zeitpunkt gekommen, dass eine neue Generation die demokratische Fraktion führt, die ich so sehr respektiere", sagte Pelosi, während einige ihrer Kollegen sich die Tränen aus den Augen wischten. Sie werde deswegen nicht zu einer Wiederwahl für eine Führungsposition antreten, aber Abgeordnete bleiben, erklärte die 82-Jährige.
US-Präsident Joe Biden würdigte Pelosi als "die wichtigste Vorsitzende des Repräsentantenhauses der Geschichte". Als erste Frau an der Spitze der Kongresskammer habe sie Geschichte geschrieben und sich stets als "entschiedene Verteidigerin der Demokratie" verdient gemacht, so Biden. Pelosi war 2007 zum "Speaker of the House" – dem dritthöchsten politischen Amt im Land – gewählt worden, das sie seit 2019 zum zweiten Mal inne hat.
Damit ist nach den Midterms nun Schluss. Bei den Kongresswahlen vergangene Woche hatten die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verloren und müssen den Vorsitz an die Republikaner abdrücken.
Nancy Pelosi: Von Demokraten verehrt...
Als wahrscheinlichster Nachfolger Pelosis an der Spitze der demokratischen Fraktion gilt der Abgeordnete Hakeem Jeffries. Ein weiterer historischer Kandidat – denn der 52-Jährige wäre der erste Afroamerikaner, der eine der Parteien in einer Kongresskammer anführt. Jeffries ehrte Pelosi via Twitter als "G.O.A.T" (Greatest Of All Time, Größte aller Zeiten) und schrieb: "Danke für alles, was du für Amerika getan hast."
Pelosi gilt seit Langem als eine der mächtigsten Frauen in den USA. Schon seit 1987 sitzt die Politikerin mit italienischen Wurzeln, deren Wahlkreis in der kalifornischen Stadt San Francisco liegt, im Repräsentantenhaus. 2003 übernahm sie dort die Führung über die Demokraten-Fraktion, zwischen 2007 und 2011 stand sie dann zum ersten Mal an der Spitze der Kammer.
Als herausragende Taktiererin führte sie die demokratische Fraktion mit viel Geschick und balancierte die unterschiedlichen Flügel. Ihre Ausdauer, ihre Hartnäckigkeit und ihr unermüdliches Suchen nach pragmatischen Lösungen verschafften ihr auf beiden Seiten der Kammer Respekt. Als Präsident Barack Obama 2010 das Gesetz zur US-Gesundheitsreform unterschrieb, die allen Amerikanern den Zugang zu erschwinglicher medizinischer Versorgung sichern sollte, dankte er als Erstes Nancy Pelosi. Ihrer Ausdauer, ihrer Hartnäckigkeit, ihrem unermüdlichen Suchen nach pragmatischen Lösungen sei es massgeblich zu verdanken, dass dieses Jahrhundertprojekt tatsächlich wahr geworden sei.
...von Rechten verachtet
Als Donald Trump ins Weiße Haus einzog, entwickelte sich Pelosi zu seiner wichtigsten innenpolitischen Gegenspielerin. Unter ihrem Vorsitz leitete die Abgeordnetenkammer gleich zwei Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein. Nach einer Rede Trumps zur Lage der Nation im Kongress zerriss sie demonstrativ eine Kopie des Redetexts – das Bild bestimmte die Schlagzeilen.
Doch nicht erst seitdem ist sie für viele Rechte eine Hassfigur, die Pelosi als Inkarnation einer abgehobenen linken Elite ansehen. In dutzenden Wahlwerbespots wurde sie bereits – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Fadenkreuz genommen, Trump verbreitete den Spitznamen "Crazy Nancy" und beim Sturm aufs Kapitol wurde die Demokratin gar als Jagdtrophäe ausgerufen.
Wohin der Hass führen kann, wurde bei dem brutalen Angriff auf Pelosis Ehemann Paul Ende Oktober im Haus des Paares sichtbar. Der Angreifer, der den 82-Jährigen mit einem Hammer schwer verletzte, hatte es auf Nancy Pelosi abgesehen. Wie am 6. Januar, hatte sie auch diesmal Glück, zur richtigen Zeit nicht am falschen Ort zu sein.