Müssen Autofahrerinnen und Autofahrer künftig regelmäßig ihre Gesundheit überprüfen lassen? Mit dieser Frage beschäftigt sich am Mittwoch ab 12 Uhr das EU-Parlament und stimmt seine Verhandlungsposition zu einer Reform der EU-Führerscheinregeln ab. Deutsche Abgeordnete sehen solche regelmäßigen Untersuchungen zwar kritisch, in anderen Ländern gibt es sie aber bereits.
Welche Führerscheinregeln könnten geändert werden?
Wer künftig einen Führerschein verlängern lassen will, muss dafür nach dem Willen der EU-Staaten einen Fragebogen mit Gesundheitsfragen ausfüllen. Dabei soll geprüft werden, ob man gesundheitlich noch in der Lage ist, sich hinters Steuer zu setzen. In Deutschland könnte künftig alle 15 Jahre eine solche Selbstauskunft fällig werden, wie aus Angaben der EU-Länder im Dezember hervorging.
Die Untersuchungen sind dabei nur Teil des Vorhabens. Unter anderem geht es auch darum, ob begleitetes Fahren ab 17 künftig EU-weit möglich sein soll. Führerscheine für Autos, Roller und Motorräder sind den Plänen zufolge 10 bis 15 Jahre gültig – für Busse und Lkw gelten strengere Regeln. Jedem Land wird nach Willen der Länder zudem die Möglichkeit eingeräumt, diese Zeiten für ältere Fahrerinnen und Fahrer zu verkürzen. Die EU-Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass Führerscheine von Menschen, die älter als 70 Jahre sind, alle fünf Jahre erneuert werden sollen.
Was wird bei den Gesundheitschecks geprüft?
Es geht etwa um Einschränkungen wie Sehschwächen, Herzerkrankungen, Epilepsie oder Alkoholismus, die auch für andere Menschen im Verkehr eine Gefahr darstellen. Ob die eigene Sehkraft oder das Trinkverhalten ein Risiko darstellen, muss aber keine Ärztin oder Arzt untersuchen. Jedes Land kann sich auch dafür entscheiden, lediglich eine Selbstauskunft zu verlangen.
Was ist das Ziel der neuen Führerscheinregeln?
Mit den neuen Vorgaben soll der Straßenverkehr sicherer werden und weniger Menschen bei Unfällen sterben. EU-Angaben zufolge kommen jedes Jahr mehr als 20.000 Menschen auf den Straßen in der Europäischen Union ums Leben. Eigentlich soll die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 halbiert werden. Die Entwicklung sieht aber derzeit nicht danach aus: Nach einem deutlichen Rückgang während der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Toten jüngst wieder an.
Woher kommt der Vorstoß?
Die Überarbeitung der Regeln geht auf einen Vorschlag der EU-Kommission zurück, der im März vergangenen Jahres vorgestellt worden war. Dabei hatte die zuständige Berichterstatterin im Verkehrsausschuss, Karima Delli, zunächst noch viel mehr gefordert als Gesundheitschecks. Für die hatte sie zwar eine Mehrheit im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments gefunden, nach parteiübergreifender Kritik musste sich die französische Grünen-Abgeordnete aber von mehreren weiteren Vorschlägen verabschieden. Wegen der Vorschläge war eine Debatte darum entbrannt, ob ältere Menschen im Straßenverkehr ein Risiko darstellen.
Dabei ging es nach Angaben der Abgeordneten etwa um eine Sonderkategorie an Führerscheinen, die für schwere Autos wie SUVs eingeführt werden sollte. Auch die Möglichkeit, dass einzelne EU-Staaten Nachtfahrverbote für junge Autofahrerinnen und -fahrer einführen könnten, steht den Angaben zufolge nicht mehr zur Debatte.
Was ist die Position der EU-Staaten?
Die EU-Staaten werden sich in den Verhandlungen dafür einsetzen, dass es solche verpflichtenden Tests nicht geben wird. Sie hatten ihre Verhandlungsposition bereits vergangenes Jahr festgelegt. Wenn das Parlament seine Position festgelegt hat, können Verhandlungen über einen finalen Kompromiss beginnen.
In mehreren Staaten wie Finnland, Spanien oder Großbritannien gibt es die Gesundheitschecks für ältere Autofahrer aber schon. Mehr dazu lesen Sie hier.
Was sagt Verkehrsminister Volker Wissing zu den Vorschlägen?
Derzeit gelten Führerscheine in Deutschland ohne Checks ein Leben lang. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat den verpflichtenden Gesundheitstests für Autofahrerinnen und Autofahrer auch eine Absage erteilt. "Ich halte staatliche Vorgaben, verpflichtende Selbstauskünfte auszufüllen und ärztliche Gutachten zur Fahrtauglichkeit auszustellen, für einen enormen Bürokratie-Aufwand", sagte Wissing dem "Tagesspiegel" (Mittwochausgabe) vor der angesetzten EU-Abstimmung. Das sei "nicht zielführend".
Wissing argumentiert unter anderem mit der Selbstverantwortung jedes Einzelnen. Menschen seien "in der Lage, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen", sagte der FDP-Politiker. "Dafür braucht es keine Formulare und Gutachten, die nur Bürokratie produzieren und knappe Ressourcen in Behörden binden."

Sind ältere Autofahrer tatsächlich eine größere Gefahr?
Je nachdem, wen man fragt. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat lehnt eine mögliche verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit von Senioren als unverhältnismäßig ab. Ältere Menschen hätten im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil eine unterproportionale Unfallbeteiligung.
Diese Argumentationslinie geht nach Ansicht von Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, aber am Kern vorbei. Zwar stellten Seniorinnen und Senioren in absoluten Zahlen kein überhöhtes Unfallrisiko da. Diese würden aber viel weniger Auto fahren. Auf die Kilometerfahrleistung bezogen sei das Unfallrisiko von Menschen über 75 Jahren in bestimmten Aspekten vergleichbar mit der Hochrisikogruppe der sehr jungen Fahrerinnen und Fahrer.
Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden haben ebenfalls ergeben, dass ältere Autofahrer häufiger die Hauptschuld haben als jüngere, wenn sie an Unfällen mit Personenschaden beteiligt sind. Der Statistik zufolge waren Menschen ab 65 Jahren vergangenes Jahr in mehr als zwei Dritteln dieser Fälle (69 Prozent) die Hauptverursachenden.