Nordirak "Ein Kurdenstaat wäre keine Lösung"

Die Türkei steht kurz vor einem Einmarsch in den Nordirak. Der Konflikt in der ölreichen Region droht zu eskalieren. Im stern.de-Gespräch erklärt Heinz Kramer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mögliche überregionale Auswirkungen und erläutert politische Lösungsansätze.

Hat der Konflikt zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Soldaten im Nordirak auch überregionale Auswirkungen ?

Ja, denn auch die Nachbarn Iran und Syrien sind quasi beteiligt, denn sowohl in Syrien als auch im Iran gibt es kurdische Minderheiten, die in ihren Ländern Autonomie fordern. Das Problem ist jedoch in der Türkei am größten, denn dort leben ca. 55 Prozent der gesamten kurdischen Bevölkerung der Region. Iran und Syrien befürchten daher zu recht, dass Auseinandersetzungen zwischen türkischem Staat und PKK auch Konsequenzen für ihr Kurdenproblem hätte. Ausserdem muss man damit rechnen dass eine längere militärische Auseindersetzung zwischen der türkischen Armee und der PKK im Nordirak zur weiteren Destabilisierung des gesamten Irak führt - und das hätte für die ganze Region Konsequenzen.

Wäre die Aufteilung des Iraks in drei Teile mit einem eigenständigen Kurdenstaat die Lösung des Problems?

Nein, denn das größte Problem im Irak, der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten um die Vorherrschaft am persischen Golf, hinter der auch ein Ringen schiitischer und sunnitischer Kräfte um die Dominanz in der Region steht, würde nur verlagert und nicht gelöst. Außerdem könnte es zu Spannungen zwischen einem Kurdenstaat und den sunnitisch bzw. schiitisch dominierten Teilen kommen, da eine "saubere" ethnisch oder religiös definierte Aufteilung des Irak nicht möglich ist.

Zur Person

Heinz Kramer (62) ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Forschungsgruppenleiter EU-Außenbeziehungen. Er berät die Herausgeber der Zeitschrift "Turkish Studies" und befindet sich zurzeit auf einer Forschungsreise vor Ort.

Geht damit die Angst vor Terror einher?

Der Terrorismus im Irak würde bei einer Teilung des Landes sicher eingedämmt, aber nicht völlig beseitigt. Und der PKK-Terror gegen die Türkei würde davon wahrscheinlich kaum berührt, da seine Ursache wenig mit der staatlichen Regelung des Irak zu tun hat.

US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte, der Zusammenhalt des irakischen Staates sei bei einem Einmarsch der Türkei im Nordirak in Gefahr

Diese Gefahr besteht eher durch die inner-irakischen Gegensätze zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Schiiten und Sunniten sowie deren blutigen Auseinandersetzungen um die Macht im Land.

Was wäre ein weiterer, potentieller Konfliktherd?

Sicherlich könnte wegen der großen Erdölreserven im Norden des Landes, den die Kurden zurzeit ziemlich unangefochten beherrschen, ein Streit entstehen. Nämlich dann, wenn die irakische Kurdenführung über die Öleinnahmen exklusiv verfügen wollte. Bisher ist die Übereinkunft, dass das Öl allen Gruppen im Irak gehört.

Viele befürchten, dass bei einem Einmarsch der Türkei im Irak alle Dämme brechen könnten und dann auch die Nachbarn Syrien, Iran oder Saudi-Arabien Interessen äußern würden

Das sehe ich nicht, so lange eine militärische Offensive nur auf die Unterwerfung der PKK zielt. Das wäre kein Großangriff auf den Nordirak. Eine solche Militäraktion würde keine destabilisierende Folgen für das ganze Land haben.

Wie könnten politische Lösungsansätze aussehen?

Ein Amnestie-Angebot für die einfachen PKK-Kämpfer wäre ein Ansatz, denn was sind die Häuptlinge schon ohne Indianer? Das lehnt die türkische Regierung bislang aber ab. Langfristig würde eine Anerkennung der kurdischen Identität in der Türkei, durch eine Akzeptanz von Zweisprachigkeit in den überwiegend von Kurden bewohnten Gegenden im Südosten des Landes, sicher mehr bringen. Generell würde die Attraktivität der PKK in dem Maße zurückgehen, wie die Lebensverhältnisse der Menschen in den Kurdenprovinzen gezielt und nachhaltig verbessert werden. Denn die kurdischen Gebiete sind eindeutig das Armenhaus der Türkei.

Interview: Tonio Postel