Nachts sind in Belfast wieder Panzerwagen unterwegs. Doch kein Mensch flieht vor den einst so gefürchteten "Humber Pigs". Anstelle von Maschinengewehren besitzen sie nun Super- Soundanlagen. Aus den Luken schauen nicht Soldaten, sondern Nachtschwärmer. Willkommen in der Metropole Nordirlands, der jüngsten Partyhochburg Großbritanniens.
"So etwas haben wir nicht zu träumen gewagt", sagt Fearghal O’Connor. Der Unternehmer hat Panzerwagen aus der Zeit der "Troubles", des bewaffneten Nordirlandkonflikts, aufgekauft und veranstaltet damit Partytouren durch Belfast. Wo einst die Angst herrschte, blüht das Nachtleben. Und die martialischen "Murals", (Wandbilder), die einst in den bis heute getrennten Wohngebieten den Kampfgeist von Katholiken oder Protestanten schürten, ziehen Heerscharen ausländischer Touristen an.
Konflikt forderte rund 4000 Opfer
Nahezu 4000 Menschen sind dem Nordirlandkonflikt zum Opfer gefallen, seit sich Katholiken und Protestanten 1969 in Londonderry in Barrikadenkämpfe verstrickten. 1998 keimte mit dem Karfreitagsabkommen endlich die Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Auftrieb erfuhr sie vor einem Jahr. Die wegen ihrer Terroranschläge gefürchtete Irisch-Republikanische Armee (IRA) erklärte im Sommer 2005 die "endgültige" Abkehr vom bewaffneten Kampf.
Allein mit politischen Mitteln will die IRA nach eigenem Bekunden für die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland eintreten. Der als Gutachter berufene kanadische General im Ruhestand John de Chastelain bescheinigte: Die IRA hat vollständig abgerüstet. Die womöglich wichtigste Grundlage für Frieden in Nordirland ist jedoch seit 1998 durch eine enorme wirtschaftliche Entwicklung geschaffen worden. Etliche Unternehmen nutzten den Waffenstillstand und britische sowie EU-Beihilfen für Investitionen.
Durch die Öffnung der Grenze konnte Nordirland zudem kräftig vom Aufschwung in der Republik Irland profitieren, die sich seit dem EU- Beitritt 1973 vom Armenhaus zu einem der wohlhabendsten Länder der Euro-Zone gemausert hat. Ähnlich wie beim Nachbarn ging die Arbeitslosigkeit in Nordirland erheblich zurück - von nahezu 18 Prozent auf heute nur noch 4,5 Prozent.
"Trotz wirtschaftlicher Erfolge beklagen wir in der Politik ein Vakuum", sagt der britische Nordirland-Minister Peter Hain. Im Stormont, dem Parlament Nordirlands, herrscht Friedhofsruhe. Vier Jahre nach dem Karfreitagsabkommen war die dadurch möglich gewordene Selbstverwaltung Nordirlands an Streitigkeiten zwischen der Katholiken-Partei Sinn Féin unter Gerry Adams und der protestantischen Demokratischen Unionisten-Partei (DUP) unter Ian Paisley zerbrochen.
Selbstregierung wird angestrebt
Nun haben die Regierungen in London und Dublin die 108 Stormont- Abgeordneten aufgefordert, sich auf eine erneute Selbstregierung der Region zu verständigen. Sinn Féin - und ihr militärischer Flügel IRA - bekennen sich dazu. Jedoch zögert der 80 Jahre alte Presbyterianer- Pfarrer Paisley, der den Verbleib Nordirlands im Königreich Großbritannien gefährdet sieht, seine Zustimmung zur Machtteilung mit den Katholiken hinaus.
Allerdings haben der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern ihre Forderung mit einem Ultimatum versehen. Die Stormont-Abgeordneten sollen bis zum 24. November eine parteiübergreifende Regierung bilden - andernfalls verlieren sie ihre Bezüge von jährlich 85 000 Pfund (126 000 Euro). Nordirland würde dann wieder vollständig von London aus regiert werden, wobei Dublin eine Mitspracherecht hätte. "Wenn die Lokalpolitiker dies vermeiden wollen", sagt Hain, "dann sollen sie in den Stormont gehen und eine gemeinsame Selbstverwaltung bilden."