Nordkorea Wenn der "Geliebte Führer" geht

Sein Fernbleiben auf der Ehrentribüne der 60-Jahr-Feier Nordkoreas lässt wieder einmal Spekulationen aufblühen, was aus dem stalinistischen Land wird, wenn Diktator Kim Jong Il mal nicht mehr ist. Sicher ist vor allem eines: Die kommunistische Kim-Dynastie geht zu Ende.

Der launische, verschlossene und brutal-stalinistische nordkoreanische Machthaber Kim Jong Il sorgt wieder für Spekulationen: Möglicherweise hat er einen Gehirnschlag erlitten. Wer sein Nachfolger werden könnte, ist aber unklar. "Weil er keinen seiner Söhne als Nachfolger designiert hat, könnte Nordkorea im kommenden Jahr in interne Machtkämpfe zerfallen", sagt Politikwissenschaftler Kim Hak Sung von der südkoreanischen Universität Chungnam. Andere Experten vermuten, das Militär werde die Macht an sich reißen.

Der 66-Jährige Kim hat mit drei Frauen mindestens vier Kinder, aber keines konnte in dieser kommunistischen Erbdiktatur bislang eine Position erlangen, um die Nachfolge antreten zu können. Der älteste Sohn, der 37-jährige Jong Nam, galt lange als Favorit. Doch 2001 fiel er offenbar in Ungnade, als er beim Versuch erwischt wurde, mit einem falschen dominikanischen Reisepass nach Japan einzureisen, um dort einen Disney-Vergnügungspark zu besuchen. Der 27 Jahre alte Jong Chol soll Teile seiner Schulzeit in einem Schweizer Internat verbracht und im vergangenen Jahr einen ranghohen Parteiposten in Nordkorea erhalten haben - damit könnte er ein Aspirant auf die Nachfolge sein. Berichten zufolge soll Kim allerdings den drei Jahre jüngeren Jong Un bevorzugen, der seinem Vater sehr ähnlich sein soll. "Nordkoreas Politik vorherzusagen ist wie ein Ratespiel. Es gibt keine vorgezeichnete Nachfolge wie 1994", sagt Michael Kulma von der Asien-Gesellschaft New York.

20 Jahre lang der Kronprinz

Kim selbst galt 20 Jahre lang als Kronprinz, bevor er nach dem Tod seines Vaters Kim Il Sung 1994 die Staatsführung übernahm. Kim ist als Liebhaber von Zigarren und Cognac bekannt, aber er soll seit Jahren an Diabetes und Herzbeschwerden leiden. Die Spekulationen um seinen Gesundheitszustand waren zuletzt aufgekommen, nachdem er nicht an der großen Militärparade zum 60. Jahrestag der Staatsgründung teilgenommen hatte. In südkoreanischen Medien hieß es prompt, Kim habe einen Zusammenbruch erlitten. Aus Kreisen des US-Geheimdienstes war zu hören, er habe möglicherweise einen Gehirnschlag erlitten.

Die Regierung in Nordkorea aber hat die Berichte sofort zurückgewiesen und spricht von einer "Verschwörung". Sollte er abtreten oder sterben, entsteht ein Machtvakuum. Diktaturen sind instabile Regierungsformen, beim Kampf um die Nachfolge gilt oft das Recht des Stärkeren - und irgendwo lauert immer ein Brutus. "Das Militär würde das Krisenmanagement übernehmen", sagt Yoo Ho Yeol von der Korea-Universität. Wenn Kim wirklich schwer krank sei, würden die obersten Generäle im Hintergrund ein regierendes Kollektiv bilden, glaubt der Nordkorea-Experte.

Wie sich ein Abtreten Kims auf die internationalen Verhandlungen zur Einstellung des nordkoreanischen Atomprogramms auswirken würde, ist ebenfalls völlig offen. Marcus Noland vom Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen aus Washington geht davon aus, dass es bei einer plötzlich anstehenden Nachfolgeentscheidung zu einem Bündnis von ranghohen Funktionären der Kommunistischen Partei, Generälen und einem Familienmitglied Kims käme. "Eine Art kollektive Führung um das nationale Verteidigungskomitee und vielleicht ein Familienmitglied, um nach außen Kontinuität zu symbolisieren." Doch im Hintergrund würden andere die Fäden ziehen, sagt auch Noland.

Wer sichert sich seine Pfründe

Funktionäre und ranghohe Militärs müssen bei einem Führungswechsel allerdings um ihre Pfründe fürchten, deshalb werden sie sich im Zweifel wohl gegen einen Nachfolger stellen. Das stalinistisch geführte und von der Außenwelt nahezu vollständig isolierte Nordkorea ist bettelarm. Nur die herrschende Klasse kann sich einen gehobenen Lebensstandard leisten. Das Regime lebt von Pekings Gnaden, die Regierung in China hat die bedingungslose Unterstützung des Diktators Kim jedoch zuletzt etwas eingeschränkt.

Andere Nordkorea-Experten befürchten, dass es zu Unruhen kommen könnte. Doch Geheimdienst und Militär haben das Land seit Jahrzehnten unter Kontrolle, Spitzel sind allgegenwärtig. Die Streitkräfte würden im Falle eines Machtvakuums das Kriegsrecht verhängen, meint Ko Yuh Hwan von der Universität Dongguk in Seoul. Dabei ist es auch durchaus möglich, dass der 66-jährige Kim vielleicht tatsächlich ganz munter ist. Der mysteriöse Diktator wurde seit über einem Monat nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, doch auch zuvor verschwand er immer mal wieder.

Im Oktober wies er Berichte über eine mögliche Krankheit selbst zurück: "Die übertreiben noch meine kleinste Bewegung. Ich denke sie sind Romanschreiber und nicht Journalisten", sagte er während eines Gipfeltreffens mit der südkoreanischen Führung in Pjöngjang. Kulma von der Asien-Gesellschaft warnt auch vor voreiligen Schlüssen. Die Berichte über seine Abwesenheit bei den Feierlichkeiten seien ein begründeter Anlass für Spekulationen. "Aber auch früher ist er von Zeit und Zeit für längere Phasen vom Radar verschwunden."

AP
Hyung Jin Kim und Jean Lee/AP