Wahlbetrugvorwürfe gegen Amtsinhaber Gewalt nach Wahlen in Belarus eskaliert – Verletzte und Tausende Festnahmen

Die Polizei geht mit Wasserwerfern gegen Demonstranten in der Hauptstadt Minsk vor
Die Polizei geht mit Wasserwerfern gegen Demonstranten in der Hauptstadt Minsk vor
© Siarhei LESKIEC / AFP
Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko ist in Belarus erneut wiedergewählt worden. Oppositionskandidatin Tichanowskaja erklärte sich zur Siegerin und forderte Lukaschenkos Rücktritt. Bei Protesten gab es Festnahmen, es soll einen Toten geben.

In Belarus hat der langjährige Amtsinhaber Alexander Lukaschenko die Präsidentschaftswahl nach offiziellen Angaben mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Belta am Montag unter Berufung auf die Wahlkommission berichtete, kommt der 65-jährige Lukaschenko laut dem vorläufigen Ergebnis auf 80,2 Prozent der Stimmen. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, zu deren Kundgebungen in den vergangenen Wochen immer wieder Tausende Menschen gekommen waren, kommt demnach auf 9,9 Prozent.

Zuvor hatte schon eine Prognose des Staatsfernsehens den seit 26 Jahren mit harter Hand regierenden Lukaschenko bei knapp 80 Prozent gesehen. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Behörden bei 84,5 Prozent der rund 6,8 Millionen Stimmberechtigten. 

Oppositionskandidatin erklärt sich zur Siegerin

Die Opposition, die schon vor dem Urnengang mit Wahlbetrug rechnete, zweifelt das Ergebnis an. Tichanowskaja sagte nach Veröffentlichung der Prognose: "Ich glaube an das, was ich mit eigenen Augen sehe, und ich sehe, dass die Mehrheit hinter uns steht." Auch schon allein dadurch, "dass wir unsere Angst, unsere Apathie und unsere Gleichgültigkeit besiegt haben", habe ihre Seite triumphiert. 

Tichanowskaja forderte am Montag den langjährigen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko zum Rückzug auf und erklärte sich selbst zur Wahlsiegerin. Die Regierung müsse darüber nachdenken, "wie sie die Macht friedlich an uns übergeben kann", sagte Tichanowskaja am Montag vor Journalisten in Minsk. "Ich betrachte mich selbst als die Gewinnerin dieser Wahl." 

Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tikhanovskaya (links) und ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikova
Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tikhanovskaya (links) und ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikova bei einer Pressekonferenz am Tag nach der Wahl
© Sergei GAPON / AFP

Die 37-jährige Hausfrau, gelernte Deutsch- und Englischlehrerin ohne politische Vorerfahrung, hatte in den vergangenen Wochen an Zustimmung gewonnen, obwohl die Behörden hart gegen die Opposition vorgegangen waren. Tichanowskaja war angetreten, nachdem ihr Mann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen worden war.

Polizei geht gegen Demonstranten vor

Ungeachtet eines Demonstrationsverbots gingen am Sonntagabend Tausende Menschen im Zentrum von Minsk auf die Straße. Die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Protestierenden vor. Es sei "Spezialgerät" zur Auflösung von Menschenmengen eingesetzt worden, darunter Lärmgranaten, teilte die Polizei mit. Nach Angaben der Regierung wurden landesweit rund 3000 Demonstranten festgenommen. Mehr als 50 Zivilisten und 39 Polizisten seien verletzt worden, teilte das Innenministerium mit.

Bilder in den Online-Netzwerken zeigten Demonstranten, die mit blutüberströmten Gesichtern durch die Straßen liefen. Ein vom Sender Radio Liberty live übertragenes Video zeigte Hunderte Bereitschaftspolizisten, die Demonstranten gegenüberstanden und Schockgranaten abfeuerten. Protestierende versuchten, Barrikaden zu errichten.

Oppositionsnahe Medien meldeten, ein Polizei-Mannschaftswagen sei in die Menge gefahren. Ein junger Mann sei von einem Polizeiauto angefahren worden und habe eine schwere Kopfverletzung erlitten, teilte die Menschenrechtsorganisation Viasna am Montag mit. Sanitäter hätten sein Leben nicht mehr retten können. Dutzende weitere Menschen wurden demnach verletzt, als die Polizei mit Schockgranaten, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vorging. Das Innenministerium wies die Angaben der Aktivisten zu dem Todesfall zurück. 

"Tiefe, noch nie da gewesene Krise zieht herauf"

Nach Stunden des Chaos verbreitete die staatliche Nachrichtenagentur Belta in der Nacht eine Mitteilung des Innenministeriums, die Lage sei "unter Kontrolle". Auch aus anderen Städten des Landes kam es laut Berichten örtlicher Medien zu Protesten. Die Opposition kündigte bereits neue Demonstrationen an.

"Eine tiefe, noch nie da gewesene Krise zieht herauf", sagte Tichanowskajas Mitstreiterin Maria Kolesnikowa am Abend. Sie warf der Regierung Wahlbetrug vor. So habe die Beteiligung in mehreren Wahllokalen bei mehr als 100 Prozent gelegen. "Die Behörden sollten eingestehen, dass die Mehrheit auf der anderen Seite steht", sagte Kolesnikowa.

DPA · AFP
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