Vierte Welle Kampf gegen die Pandemie: Deutschland datiert den Freedom Day und Österreich führt die 2G-Regelung ein

Alexander Schallenberg erklärt die neuen Corona-Maßnahmen
Die Lage in Österreich ist ernst. Die Dynamik ist außergewöhnlich und die Belegungen in den Intensivbetten steigen deutlich schneller als erwartet“, begründete Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) die neuen Pandemie-Maßnahmen.
© Michael Gruber/APA / DPA
Die Pandemiekurven in Österreich und Deutschland sind beinahe identisch. Ganz anders gestaltet sich der Kurs, den die Länder bei der Bekämpfung der Pandemie verfolgen. Deutschland sollte sich am Nachbarn orientieren.

In Deutschland neigt sich die Pandemie dem Ende entgegen, in Österreich gewinnt sie gerade an Fahrt – könnte man zumindest mit Blick auf den politischen Kurs meinen. Zuletzt hatte Gesundheitsminister Jens Spahn das Ende der epidemischen Lage vorgeschlagen, die Ampel-Parteien unterstützen diesen Vorstoß und haben gleichzeitig den Freedom Day, also das Ende der Schutzmaßnahmen, für den 20. März ausgerufen. Österreich dagegen verschärfte seine Pandemiemaßnahmen, indem es unter anderem eine 2G-Regelung für das öffentliche Leben einführte.

Das wirkt auf den ersten Blick paradox. Die Corona-Kurven in Österreich und Deutschland verlaufen nahezu identisch und haben sich seit Mai immer weiter angeglichen. In beiden Ländern lassen sich die Jahrstiefststände bei den täglichen Neuinfektionen auf Juli datieren, danach stiegen die Kurven und mündeten Anfang September in einem neuen Peak. Ein dramatischer Anstieg ist seit Mitte Oktober zu beobachten. Seitdem hat sich die Inzidenz in Deutschland allerdings vervierfacht, während sie in Österreich innerhalb von fast zwei Monaten um das Sechsfache stieg.

Österreich stellt Rekord bei Neuinfektionen auf

Und damit beginnen die Unterschiede zwischen den beiden Ländern. So hatten sich in der knapp neun Millionen Seelen großen Alpenrepublik zuletzt fast zehntausend Menschen mit dem Coronavirus infiziert (Stand 5. November). Damit vermeldete das Land einen Rekord bei den Neuinfektionen. Innerhalb einer Woche stieg die Zahl sogar um mehr als 60 Prozent. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 566,8.

In Deutschland hatten sich innerhalb der letzten 24 Sunden 34.002 Personen angesteckt – fast viermal so viele wie beim südlichen Nachbarn. Trotzdem fällt die Inzidenz mit gegenwärtig 183,7 im Vergleich um ein Vielfaches geringer aus. Das hängt mit der Bevölkerung zusammen, denn in Deutschland leben fast zehnmal so viele Menschen wie in Österreich.

Beim Impfen liegt das Land zudem hinter Deutschland – und unter dem EU-Durchschnitt. Sind hierzulande laut Impfdashboard 67 Prozent vollständig geimpft (und knapp 70 Prozent einfach), sind 64 Prozent aller Österreicher vollständig immunisiert. Fast 67 Prozent haben ihre erste Dosis erhalten.

Auch mit Blick auf die Intensivbettenbelegung gibt es Unterschiede. In Deutschland werden knapp zehn Prozent der Intensivbetten von Corona-Patienten belegt, in Österreich sind es fast doppelt so viele. Trotzdem ist die Lage dort entspannter als hier. Laut dem Divi sind in Deutschland nur noch 13 Prozent der Intensivbetten frei (Stand 6. November). In Österreich sind es 34 Prozent.

Regeln der höchsten Warnstufe treten in Kraft

So unterschiedlich die Fallzahlen in den beiden Ländern ausfallen, so verschieden wird auch der Kampf gegen die aktuelle Pandemiewelle ausgefochten. Ähnlich wie in einigen Bundesländern in Deutschland gilt auch in Österreich ein Stufenplan. Je nach Auslastung der Intensivstationen werden die Schutzmaßnahmen entsprechend verschärft oder gelockert.

Weil aktuell über 300 Intensivbetten belegt sind, müsste die Stufe 2 in Kraft treten. Da die landesweite Inzidenz derzeit Rekordhöhen erreicht, gelten ab dem 8. November auch die Regeln der Stufen drei und vier, wie das Gesundheitsministerium auf seiner Seite mitteilt. Die Maßnahmen der höchsten Stufe wären eigentlich erst in Kraft getreten, wenn über 500 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt wären.

"Die Lage in Österreich ist ernst – so wie in einer ganzen Reihe anderer europäischer Staaten. Die Dynamik ist außergewöhnlich und die Belegungen in den Intensivbetten steigen deutlich schneller als erwartet“, begründete Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) die Entscheidung.

"Grüner Pass" verfällt nach neun Monaten

Die Regierung plant zudem gegen Ungeimpfte vorzugehen. "Das Ganze dient als Anreiz. Als starker Anreiz, dass die Menschen impfen gehen", sagte Schallenberg. Die neuen Regeln beinhalten unter anderem

  • eine österreichweite 2G-Regel: Nur wer doppelt geimpft oder genesen ist, kann zum Frisör oder ins Restaurant gehen. Dasselbe gilt für Hotels, Sportstädten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Kulturstätten. Allerdings gilt hier eine vierwöchige Übergangsfrist. Wer einmal getestet ist, kann sich mit einem negativen PCR-Test Zugang verschaffen.
  • an Veranstaltungen mit mehr als 25 Personen dürfen nur Geimpfte und Genesene teilnehmen. Veranstaltungen mit mehr als 50 Gästen müssen bei den Bezirksverwaltungsbehörden angemeldet werden. Dafür müssen die Veranstalter unter ein Präventionskonzept vorlegen. Veranstaltungen mit über 250 Personen müssen offiziell genehmigt werden.
  • im Handel, in Museen und Bibliotheken gilt eine FFP2-Maskenpflicht
  • Antigentests sollen durch PCR-Tests ersetzt werden
  • Die Maßnahmen sollen strenger kontrolliert werden
  • der "Grüne Pass", mit dem eine Impfung nachgewiesen wird, verfällt neun Monate nach dem zweiten Piks. Betroffene gelten dann als ungeimpft und müssen sich einer Booster-Impfung unterziehen. Hier gilt allerdings eine dreiwöchige Übergangsfrist.

Es geht nicht nur um die Zahlen, sondern um den Trend

Und Deutschland? Auf der Pressekonferenz nach der Gesundheitsministerkonferenz in Lindau am Bodensee legten Jens Spahn und Klaus Holetschek ein "Papier mit ersten Lehren aus der Pandemie" vor. Darin enthalten sind drei Pandemiemaßnahmen: der Wunsch nach strengeren Kontrollen der 3 und 2G Regeln im Alltag, vulnerable Personen besser zu schützen und medizinische Einrichtungen zu entlasten sowie ein Angebot zur Auffrischung der Corona-Impfung für alle. Mit Blick auf Österreich, wo die Inzidenz so viel höher ist, mögen die Maßnahmen angemessen erscheinen.

Und trotzdem bleibt das unterschiedliche Pandemie-Managment in Deutschland und Österreich ein Paradox. Denn es geht nicht unbedingt in erster Linie um die reinen Zahlen, sondern um den Trend, der sich seit Wochen eingestellt hat und aktuell nicht kehrt macht. Zwar stehen wir mit Blick auf die Inzidenz besser da als unser Nachbar im Süden, aber auch hier stellen wir Rekorde bei den täglichen Neuinfektionen auf. Und der Blick ins Ausland ist derzeit wie ein Blick in die Glaskugel – aus der man, wenn man sie richtig liest – auch für sich selbst ein paar hilfreiche Maßnahmen ableiten könnte.