Herr Dahmen, die Labore sind am Limit, die Neuinfektionen steigen täglich und Ende des Monats könnte sich das auch in der Hospitalisierungsinzidenz spiegeln. Läuft die Pandemie gerade wieder aus dem Ruder?
Wir wissen aus den letzten zwei Pandemiejahren, dass wir unterschiedliche Belastungszeiten erleben. Zunächst waren es die Gesundheitsämter, dann die Intensivstationen. Mit der Omikron-Variante sind die medizinischen Labore an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen. Aber: Sich aus der Pandemie heraus zu testen, wird nicht funktionieren. Wir müssen die Fallzahlen im Bereich des Beherrschbaren halten – steigen sie stark an, wird auch das Gesundheitssystem, wie wir sehen, an verschiedenen Stellen immer wieder auch stark belastet.
Wie sieht der "Bereich des Beherrschbaren" genau aus?
Der Anspruch muss sein, dass die Kapazitäten in den Laboren ausreichen, um Infektionen zu erkennen und zu überwachen. Mit der derzeitigen Auslastung von über 95 Prozent und einer Positivtestrate von über 25 Prozent ist das nicht mehr der Fall. Deshalb müssen wir einerseits die Infektionszahlen in den Griff bekommen. Mittel- und langfristig müssen aber die Laborkapazitäten als kritische Ressource ausgebaut werden. In der Vergangenheit wurde zu einseitig auf Schnelltests gesetzt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte zuletzt an, dass wir die schlimmste Phase der Omikron-Welle erst Mitte Februar erreichen. Wie bereitet sich die Bundesregierung darauf vor?
Entscheidend ist, dass die in der Bund-Länder-Runde erneuerten Maßnahmen überall lückenlos umgesetzt werden. Wir müssen für eine noch konsequentere FFP2-Masken-Pflicht in den Bundesländern sorgen. Dort, wo FFP2-Masken nicht getragen werden können, muss die 2G-Plus-Regel angewendet werden. Für bereits eingeleitete Lockerungsambitionen in einzelnen Ländern habe ich kein Verständnis. Eine Entwarnung entbehrt aktuell jeder wissenschaftlichen Grundlage. Gerade sehen wir sogar, dass die Belegung auf den normalen Krankenhausstationen in mehreren Bundesländern wieder zunimmt.
Wie soll da die Impfpflicht helfen? Laut den Plänen von Kanzler Olaf Scholz könnte sie frühestens im April starten.
Die Impfpflicht hilft uns nicht für die laufende Omikron-Welle. Sie ist das Instrument, um Freiheiten in der kommenden Herbst-Winter-Saison zurückzugewinnen. Gleichzeitig soll sie uns vor weiteren Corona-Wellen und neuen Virusvarianten schützen. Das Ziel ist, einen weiteren Pandemie-Winter zu verhindern.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Wie soll die allgemeine Impfpflicht durchgesetzt werden, wenn es schon an der einrichtungsbezogenen Pflicht hapert? Greifswald hatte zuletzt angekündigt, die Impfpflicht für Pflegepersonal nicht umzusetzen, weil es an Kapazitäten fehle.
Es muss klar sein: Wenn sich Menschen um andere kümmern, dann tragen sie eine große Verantwortung. Es ist den Patienten nicht zumutbar, wenn sie sich im Krankenhaus vom Personal anstecken und noch schlimmer erkranken. Wir sehen in anderen europäischen Ländern, die im Gesundheitswesen entsprechende Verpflichtungsregelungen umgesetzt haben, dass der tatsächliche Personalverlust durch die Impfpflicht sehr gering ist. Die Zahlen von Frankreich oder Italien liegen zwischen 0,1 und 0,3 Prozent. Sollte eine ähnliche Situation in Deutschland eintreten, ist die Versorgung nicht gefährdet.
Sie unterstützen einen ersten Gesetzentwurf, der die allgemeine Impfpflicht auf zwei Jahre begrenzt. Wie kommen Sie auf diese Zeitspanne?
Wir sollten ein Gesetz formulieren, das die Überlastung des Gesundheitssystems durch eine nachhaltige Steigerung der Impfquote verhindert und an die Pandemieentwicklung gekoppelt ist. Es ergibt Sinn, die Impfpflicht zunächst auf die besonders schwere Phase zu begrenzen und eine Evaluationsklausel zu verankern. Nach den zwei Jahren kann man prüfen, ob es die Impfpflicht noch braucht und ob sie verlängert werden muss.
Und was muss ich tun, um in den ganzen zwei Jahren vollständig geimpft zu sein? Die Schutzwirkung nimmt schließlich wieder ab, Israel bietet schon die vierte Impfung an und unser Gesundheitsminister hat ähnliches angekündigt.
Nach dem aktuellen medizinischen Stand sind drei Impfungen hinreichend dafür geeignet die Behandlung auf einer Intensivstation zu verhindern. So können wir sicherlich schwere Erkrankungen und eine Überlastung des Gesundheitswesens verhindern. Sollte sich daran etwas ändern und wir sehen, dass man eine weitere oder gar keine Impfung mehr braucht, dann ist es die Aufgabe des Gesetzgebers die Regeln anzupassen. Allerdings kann es medizinisch sinnvoll sein, ergänzend Auffrischungsimpfungen zu machen, die aber nicht gesetzlich vorgeschrieben sind.
Warum sollte ich das in Anspruch nehmen?
Sie impfen sich möglicherweise jedes Jahr gegen die Grippe. Nicht weil Sie persönlich damit rechnen müssen, schwer zu erkranken und auf der Intensivstation zu landen, sondern Sie tun das, um eine Grippeerkrankung, die bei jüngeren Menschen nur einen temporären Ausfall bedeutet, zu vermeiden. Das kann auch bei Sars-CoV-2 sinnvoll sein. Das Gesetz dient nicht dazu, das Virus zu eliminieren oder die Pandemie weltweit zu beenden. Es geht darum aus der pandemischen Situation herauszuführen. Deshalb kann es sinnvoll sein, weitere Impfungen zu empfehlen und so einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen.
Auf Ihrem Twitter-Account liest es sich so, als ob die Impfung der Weg aus der Pandemie wäre. Warum müssen sich die Menschen dann noch testen lassen?
Wenn ich vom Weg aus der Pandemie spreche, dann meine ich damit, dass wir die pandemische Lage mit den belastenden Freiheitseinschränkungen hinter uns lassen können. Ohne hohe Impfquote wird das nicht gelingen. Aber wir können nicht nur auf uns schauen: Auch weltweit muss mehr geimpft werden. Und wir können auch noch nicht sagen, wie sich das Virus weiterhin verändern wird. Zur Strategie gehört deshalb auch, dass wir das Virus früh erkennen und durch persönliche Isolation oder Quarantänemaßnahmen eine Verbreitung verhindern. Insofern bleibt es wichtig, mithilfe der Tests Infektionsketten zu unterbrechen.
Jetzt sollen aber die hochwertigen PCR-Tests priorisiert werden. Haben Sie nicht die Sorge, dass vermehrt infektiöse Menschen herumlaufen und das Infektionsgeschehen ankurbeln?
Wir wissen inzwischen, dass die Schnelltests bei asymptomatischen infizierten Menschen sehr gut nachweisen können, ab wann sie nicht mehr infektiös sind. Deshalb war es gut und richtig, dass das Paul-Ehrlich-Institut die besonders geeigneten Schnelltests ausgewiesen hat. Durch den Engpass bei den PCR-Tests werden wir in den kommenden Wochen aber länger auf die Ergebnisse warten müssen, weil sie nicht in der üblichen Geschwindigkeit abgearbeitet werden können. Klar ist aber, dass wir die PCR-Testkapazitäten gerade für diagnostische Zwecke ausweiten müssen.
Gibt es hierzu schon konkrete Pläne? Wollen Sie auch auf das Pooling-Verfahren setzen, das etwa in Wien angewendet wird? Dabei werden ja mehrere Proben zusammen analysiert.
Es gibt eine Reihe von Beispielen in Deutschland, wo dieses Verfahren angewendet wird. Etwa an Grund- und Förderschulen in Nordrhein-Westfalen. Allerdings wurde es versäumt, das Pool-PCR-Testverfahren flächendeckend einzuführen. Wir müssen die Ressourcen ausbauen, damit wir künftig mindestens einmal wöchentlich jeden Bundesbürger in einem PCR-basierten oder einer mit PCR-Testung vergleichbaren zuverlässigen Verfahren testen können.
Warum wurde das Verfahren ursprünglich abgelehnt?
Ich kann nicht für die alte Bundesregierung sprechen, stelle aber fest, dass sie sehr einseitig auf Schnell- und Antigentest-Verfahren gesetzt hat. Das bereitet uns jetzt bei dem Versuch, schnell datenbasiert neue Varianten zu erfassen und den Überblick über das Infektionsgeschehen zu behalten, große Probleme. Dass Deutschland in Europa mit die niedrigste PCR-Testkapazität pro Einwohner haben, sollte nicht so bleiben.
Jetzt wurde der Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt, allerdings gilt diese Regelung nicht im Bundestag und nicht auf EU-Ebene. Wie erklären Sie das den Bürgern?
Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, eine wissenschaftsbasierte Gesundheitspolitik zu betreiben. Deshalb haben wir Gremien wie den Expertenrat eingerichtet. Die neuesten Informationen zeigen, dass der Schutz nach einer durchgemachten Corona-Erkrankung weniger nachhaltig ist. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen und Empfehlungen von Experten müssen wir die Regeln anpassen, um die Bevölkerung zu schützen. Wir setzen uns auch auf EU-Ebene für die Änderung ein. Und im Bundestag sollte sie selbstverständlich auch gelten.
Laut der Cosmo-Studie schwindet das Vertrauen in die politischen Institutionen zunehmend – unter anderem wegen der chaotischen Kommunikation. Wie wollen Sie das künftig ändern?
Die Daten zeigen zweierlei: einerseits eine Ermüdung und Frustration, die man im dritten Pandemiejahr sehr gut nachvollziehen kann. Andererseits ist die Mehrheit der Bürger bereit, die notwendigen Maßnahmen mitzutragen und verantwortungsvoll auf die aktuelle Lage zu reagieren. Das ist unsere wichtigste Ressource. Die Bundesregierung muss eine Pandemiepolitik betreiben, die diese Mehrheit adressiert und die Freiheit und Bedürfnisse der vielen vernünftigen Menschen im Blick hat. Das wird aber nur gelingen, wenn die Kommunikation transparent, nachvollziehbar und vorausschauend ist. Hierbei hat die Politik insgesamt noch Verbesserungspotenzial.