Den Anfang machten russische Drohnen: Immer wieder drangen die Gefährte in den polnischen Luftraum vor. Irgendwann war es zu viel. Erstmals wurden kürzlich russische Drohnen im Nato-Luftraum abgeschossen, Polens Regierung beantragte Konsultationen mit den nordatlantischen Militärpartnern. Und Russland? Zeigt sich keineswegs beeindruckt, sondern schickt Kampfjets in den Luftraum von Estland und Polen. Die Vorwürfe der beiden Länder weist der Kreml ab.
Europa und die Nato sind alarmiert, zeigt nun erneut ein Fall über der Ostsee: Dort stiegen zuletzt Eurofighter wegen einer russischen Militärmaschine auf. Allerdings umsonst: Die Maschine überschritt dieses Mal keine Grenze. Viele Länder und die Presse sprechen von einer Provokation Russlands und fordern Konsequenzen, aber auch Besonnenheit:
Putins Kalkül: Den Westen auseinander bringen
"Kölner Stadtanzeiger": "Statt zumindest zum Schein den diplomatischen Weg zu beschreiten, ließ Wladimir Putin Verhandlungen platzen, den Krieg eskalieren und seine Luftwaffe in Nato- und EU-Luftraum fliegen. Genüsslich versetzt Putin dem Westen Nadelstiche, die einzeln wie undramatische Provokationen wirken, aber in Summe die begrenzte Macht der Nato vorführen sollen. Ohne deutliches Stoppschild werden sie weitergehen, zunehmen, eskalieren – und die Grenze des Wagbaren für Putin ausweiten. Den Westen spalten, seine vermeintliche Stärke demonstrieren und ausbauen: Das ist Putins Kalkül, und es ist bei Weitem nicht so irrational, wie es zunächst wirkt."
"Südwest Presse": "Im Kreml sitzt Wladimir Putin vermutlich sehr vergnügt an seinem Schreibtisch und verfolgt zufrieden, wie die Reaktionen auf seine militärischen Provokationen ausfallen. Die Falken im Westen fordern – zurecht – den Abschuss, falls erneut eine russische MiG den Nato-Luftraum absichtlich verletzen sollte, die Zauderer und Zögerer warnen vor jeder Reaktion, die den russischen Machthaber provozieren könnte (…). Die Europäer in der Nato zeigen sich auch dieses Mal nicht als starke Gemeinschaft, sondern als der ewige Debattierklub. Man will, kann aber nicht so richtig und kommt am Ende zur Entscheidung, mit weiteren wachsweichen Sanktionen zu drohen, die auch nur halbherzig umgesetzt werden (…). Damit wird die Entschlossenheit Europas immer weiter infrage gestellt, und das ist das eigentliche Ziel des russischen Herrschers: Die EU so lange vorzuführen, bis sie sich politisch selbst zerlegt."
Russland Provokationen "nicht mit nervösen Fingern" begegnen
"Frankfurter Rundschau": "Die Nato-Staaten sollten weiter mit kühlem Kopf auf die wiederholten russischen Luftraumverletzungen reagieren und sich von dem Autokraten Wladimir Putin nicht dazu provozieren lassen, den Konflikt unnötig zu eskalieren. Russische Kampfjets sollten also weiter abgefangen und nicht abgeschossen werden. Letzteres würde Putin politisch mehr helfen als dem westlichen Bündnis. Um den betroffenen Staaten an der Nato-Ostflanke beizustehen, sollte das Verteidigungsbündnis die eigenen Fähigkeiten zur Luftverteidigung ausbauen und vor allem die Drohnenabwehr verbessern. Politisch sollten die Europäer die Vorfälle durch die UN mit dem Ziel aufklären lassen, sie zu verurteilen. Schließlich bedrohen derartige Attacken den Frieden. Klare Ansagen gegenüber dem russischen Regime und zusätzliche Sanktionen wären ebenfalls hilfreich, um die Provokationen zu stoppen. Doch hier droht erneut eine Debatte, die aller Welt vor Augen führt, dass das westliche Bündnis nicht einig ist."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Dass Russland das Hoheitsgebiet von NATO-Staaten verletzt, indem es zum Beispiel mit Kampfflugzeugen oder Aufklärern in den Luftraum eindringt, ist eine Sache, die ernst zu nehmen ist. Aber Hysterie ist fehl am Platz. (…) Es gibt eine Reihe von abgestuften Möglichkeiten, eindringende Flugzeuge abzufangen und zur Umkehr zu zwingen. Wahr ist allerdings auch, dass sie letztlich nur dann wirksam sind, wenn die verteidigenden Luftstreitkräfte äußerstenfalls die Option haben, das Feuer zu eröffnen – und wenn sie das glaubwürdig vermitteln können. (…) Das heißt: nicht mit nervösem Finger reagieren, sondern mit entschlossener Haltung und angemessener militärischer Ausstattung. Das gilt für ganz Europa, aber auch und vor allem für Deutschland."
"Nürnberger Nachrichten": "Jetzt braucht es berechenbare und konsequent durchgehaltene Reaktionen. Gefordert ist da vor allem die 'Koalition der Willigen' mit Deutschland, Frankreich, England und Italien an der Spitze. Wenn sie den Druck auf Moskau auch durch Unterstützung für die Ukraine erhöhen, sind sie keine Kriegstreiber: Sie versuchen, einen längst laufenden Krieg einzudämmen, bevor er wegen Nichtstun und Uneinigkeit weiter Richtung Westen überspringt. Die Nato ist dazu da, abzuschrecken, um Krieg zu verhindern. Putin testet, ob sie diese Abschreckung noch leisten kann und will."