Nach den Massenprotesten in Minsk gegen Staatschef Alexander Lukaschenko ist ein Hubschrauber an seinem Präsidentenpalast gelandet. Das war auf mehreren Videos im Nachrichtenkanal Telegram zu sehen. Das Staatsfernsehen zeigte dort, wie Lukaschenko mit einer Kalaschnikow-Maschinenpistole in der Hand in schwarzer Montur den Hubschrauber verließ und zum Palast ging. Zuvor war in sozialen Netzwerken spekuliert worden, ob er sich in Sicherheit bringen lassen wolle wegen der Proteste. Starke Sicherheitskräfte schützten die Zufahrtsstraßen zum Palast mit Militärfahrzeugen.
Zwei Wochen nach der umstrittenen Präsidentenwahl hatten mehrere Zehntausende gegen Staatschef Alexander Lukaschenko protestiert. Auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk kamen Bürger aller Schichten aus allen Teilen der Hauptstadt zusammen - trotz massiver Drohungen des Machtapparats. Sie riefen: "Uchodi!" - zu Deutsch: Hau ab! Weil die Sicherheitskräfte viele Metrostationen sperrten, machten sich große Menschengruppen zu Fuß auf den Weg. Die Polizei warnte in Lautsprecherdurchsagen vor der Teilnahme an der ungenehmigten Kundgebung. Es handelt sich um friedliche Proteste.
Im Anschluss war auch ein Marsch der Freiheit für ein neues Belarus geplant. Bei einer Großdemonstration mit einem Protestzug am vergangenen Sonntag waren Hunderttausende zusammengekommen.
Lukaschenko spricht von hartem Durchgreifen
"Die Durchführung von Massenveranstaltungen ist illegal, für die Teilnahme ist vorgesehen, Sie zur Verantwortung zu ziehen", teilte das Innenministerium mit. Generalmajor Iwan Kubrakow von der städtischen Miliz, wie die Polizei in Belarus genannt wird, warnte in einer Videobotschaft, es bestehe die Gefahr einer Provokation. Die Menschen sollten sich fernhalten von dem Platz. Staatschef Lukaschenko hatte mit "hartem Durchgreifen" gedroht, um die Ex-Sowjetrepublik wieder zur Ruhe zu bringen.

Das Verteidigungsministerium warnte in einer Mitteilung: "Falls es Störungen der Ordnung oder Unruhen auf diesen Plätzen geben sollte, werden Sie es schon nicht mehr mit der Miliz zu tun bekommen, sondern mit der Armee". Lukaschenko hatte immer wieder damit gedroht, notfalls auch die Armee zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Viele Bürger in Belarus betonen seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor "Europas letztem Diktator".
Auch in anderen Städten kommt es seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August täglich zu Protesten und Streiks in den Staatsbetrieben. Die von Vorwürfen beispiellosen Betrugs begleitete Präsidentenwahl hat die größte innenpolitische Krise des Landes ausgelöst. Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger der Präsidentenwahl erklären lassen.
Oppositionsführerin nach Litauen abgesetzt
Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die 37 Jahre alte Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das EU-Nachbarland Litauen geflohen. Von dort aus versucht sie, die Bewegung mit Videobotschaften zu steuern. Die EU hat die Wahl nach den Fälschungsvorwürfen und der anschließenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten nicht anerkannt. Länder wie Russland und China hingegen haben Lukaschenko zum Sieg gratuliert.
In den ersten Tagen der Proteste hatte es massive Polizeigewalt gegen die friedlichen Demonstranten gegeben. Hunderte Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten stieg am Samstag von drei auf vier. Wie das Menschenrechtszentrum Wesna mitteilte, wurde ein seit dem 12. August vermisster 28-Jähriger in einem Park gefunden. Die Todesursache war unklar.
Lukaschenko hatte am Samstag eine Militärbasis in Grodno im Westen des Landes nahe der Grenze zu Polen besucht. Dabei hatte er seinen Vorwurf erneuert, dass die Proteste gegen ihn "von außen" gesteuert seien. "Ich erteile dem Verteidigungsministerium die Anweisung, die striktesten Maßnahmen zu ergreifen, um die territoriale Integrität unseres Landes zu verteidigen", erklärte der Staatschef nach Angaben seines Büros.
Nato: Sind keine Bedrohung für Belarus
Nato-Truppen in Polen und Litauen seien entlang der Grenze zu Belarus "ernsthaft in Bewegung", sagte Lukaschenko weiter. Er habe deshalb die gesamte Armee seines Landes in Alarmzustand versetzt.
Diese Angaben wurden von der Nato als "haltlos" zurückgewiesen. "Wie wir bereits klargemacht haben, stellt die Nato keine Bedrohung für Belarus oder irgendein anderes Land dar", erklärte Nato-Sprecherin Oana Lungescu am Samstagabend in Brüssel. Eine "militärische Verstärkung in der Region" finde nicht statt. Die Regierung in Minsk rief die Nato-Sprecherin - offenbar mit Blick auf die seit der umstrittenen Präsidentenwahl vor zwei Wochen anhaltenden Demonstrationen - zur "uneingeschränkten Achtung" der Grundrechte auf.