Die erste Frau, die das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten bekleidet, wird nicht vom Volk gewählt. Sie rückt auch nicht als Vize-Präsidentin auf den Posten eines Vorgängers. Und doch führt Edith Wilson vom Oktober 1919 bis zum März 1921 die Regierungsgeschäfte. Als Frau des gewählten Präsidenten, ihres Ehemannes Woodrow. Der dämmert nach einem Schlaganfall im abgedunkelten Zimmer vor sich hin. Wie schlimm es um ihn steht, wissen weder die Öffentlichkeit noch die Mitglieder seiner Regierung. Ihnen hat Edith gleich nach dem Schlag zu verstehen gegeben, das Gehirn des Präsidenten sei "klar und unberührt". Nur schonen müsse er sich. Niemandem gewährt sie Zutritt – außer dem Arzt Dr. Cary Grayson. "Wenn er Unterlagen zu lesen hatte, dann wurden sie ihm vorgelesen - aber nur diejenigen, von denen Mrs Wilson der Meinung war, dass sie ihm vorgelesen werden müssten", erinnert sich ein Wächter des Weißen Hauses. "Und genauso gelangten auch die Meldungen über die Entscheidungen des Präsidenten an die Öffentlichkeit."
Amerikas Gesetze
sehen für den Fall, dass das Staatsoberhaupt nicht in der Lage ist, die Regierungsgeschäfte zu führen, die Amtsübernahme durch den Vizepräsidenten vor. Edith und Garyson sind sich jedoch einig: Ein komatöser Woodrow Wilson ist immer noch besser ist als ein quicklebendiger Thomas Marshall. Der hat sich mit Bemerkungen wie "Was dieses Land wirklich braucht, sind gute Zigarren zum Preis von nur fünf Cent!" einen zweifelhaften Ruf erworben. Zum Glück hält sich Marshall selbst für ungeeignet: "Ich könnte das Land versehentlich in einen Bürgerkrieg führen."
Woodrow Wilson ist nach dem Tod seiner Frau Ellen in Depression verfallen. Als auch noch der Weltkrieg ausbricht, wünscht er sich sehnlich, jemand möge ihn von seinem Leid erlösen und erschießen. Die Welt bekommt erst wieder Farbe, als ihm an einem Frühlingstag aus dem Fahrstuhl eine attraktive Frau in Wanderkleidung und schlammbespritzten Stiefeln entgegentritt. Neun Monate später sind er und Edith verheiratet. Die Juwelierswitwe ist 15 Jahre jünger als der Präsident.
Ganz zufällig ist Edith
nicht in diesen Fahrstuhl geraten. Ihre Freundin Helen Bones, hat sie ins Weiße Haus eingeladen. Bones, eine Cousine Wilsons, hat nach dem Tod der ersten Frau die Aufgaben einer First Lady übernommen.
Fortan weicht Edith nicht mehr von Wilsons Seite. Keine Vereinbarung, kein Vertrag entgeht ihr. Unermüdlich tauft sie Kriegsschiffe und treibt Amerikas Frauen dazu an, Pyjamas und Kissenbezüge für US-Soldaten in Europa zu nähen. Als der Krieg zu Ende ist und Wilson nach Paris reist, um für seinen 14-Punkte-Plan zu werben, ist Edith die einzige Frau im Spiegelsaal von Versailles. Keiner der Regierungschefs ist begeistert. Es ist fast unmöglich, bei einem Essen neben Wilson zu sitzen. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt Edith.
Woodrow Wilsons Traum
vom Völkerbund stirbt, als er den Schlaganfall erleidet. Die Republikaner verhindern den Beitritt der USA. Und Edith interessiert sich nicht für Politik, allenfalls für Personalpolitik. Als die Briefwechsel des Präsidenten 30 Jahre nach dessen Tod übergeben werden, finden sich darin Briefe, die weder Edith noch Woodrow je geöffnet haben. Sie enthalten auch Vorschläge, wie man den Senat noch zu einem Beitritt in den Völkerbund bewegen könnte.