Exklusiv Kostenexplosion im Heim: Grüne fordern Pflege-Deckel von 1000 Euro

Hände einer älteren Frau beim Kartenspielen im Pflegeheim
Eine ältere Frau beim Kartenspielen: "Pflege muss bezahlbar bleiben", sagt die pflegepolitische Sprecherin der Grünen
© Maskot / Plainpicture
Eine Kommission von Gesundheitsministerin Warken soll bald Vorschläge für eine Pflege-Reform vorlegen. Die Grünen fordern nun eine feste Begrenzung der Eigenanteile im Pflegeheim.

Wer soll sich das noch leisten können? Im Juli dieses Jahres mussten Pflegebedürftige erstmals durchschnittlich mehr als 3000 Euro pro Monat für einen Platz im Heim selbst bezahlen. Mancherorts liegen die Kosten für den sogenannten Eigenteil deutlich darüber, in Bremen werden durchschnittlich 3449 Euro fällig, in Nordrhein-Westfalen 3427 Euro. Denn anders als die Kranken- übernimmt die Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten. Dass die Pflegebedürftigen seit 2022 Entlastungszuschläge erhalten, kann der Kostenexplosion nicht wirklich etwas entgegensetzen.

Die Grünen wollen sich damit nicht länger abfinden. "Pflege muss bezahlbar bleiben", sagt die pflegepolitische Sprecherin Simone Fischer. In den vergangenen Monaten haben Fachpolitiker der Grünen-Fraktion an einem Konzept gearbeitet, das dem stern vorliegt. Die Grünen wollen die Einnahmen der Pflegeversicherung breiter aufstellen, um damit den Beitragssatz zur Pflegeversicherung zu senken und dann stabil zu halten und gleichzeitig die Eigenanteile in den Pflegeheimen zu begrenzen. 

Grüne: Auch Beamte und Einkommen aus Kapitalerträgen sollen zur Finanzierung der Pflegeversicherung beitragen

Konkret fordern die Grünen die Einführung eines Pflege-Deckels von 1000 Euro in der stationären Pflege. Mit einem solchen war auch die SPD in den letzten Wahlkampf gezogen. Eine faire Einnahmebasis für die Pflegeversicherung kombiniert mit einem echten Kostendeckel für pflegebedürftige Menschen sei "kein grüner Traum", sagt Fischer dem stern. "Es ist der einzige ehrliche Weg, dieses System vor dem nächsten Kollaps zu bewahren und das System stabil zu halten." Mit dem Eigenanteil wird bislang nicht nur ein Teil der reinen Pflege bezahlt, sondern etwa auch Unterhalt und Verpflegung. Kann eine pflegebedürftige Person dies nicht selbst stemmen, springt das Sozialamt, und damit die Kommunen, ein. Ab einem bestimmten Einkommen werden auch Kinder der Pflegebedürftigen zur Finanzierung herangezogen.

Den Grünen schwebt nun vor, für die Finanzierung der Pflegeversicherung mehr Einkommensarten einzubeziehen. "Wenn alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit beitragen – unabhängig davon, ob das Einkommen aus Arbeit, selbstständiger Tätigkeit, dem Beamten- oder Abgeordnetenstatus oder aus Kapitalerträgen und Mieteinnahmen stammt – entsteht ein System, das fairer ist", heißt es darin. 

Auch soll die Beitragsbemessungsgrenze erhöht werden, was bedeutet, dass bei Gutverdienern auf einen größeren Teil des Einkommens Versicherungsbeiträge fällig werden. Derzeit liegt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei 66150 Euro. Wo genau diese Grenze künftig verlaufen soll, wird in dem Papier nicht benannt. Es ist von einer "behutsamen Anpassung" die Rede, die die Einnahmebasis stärke, ohne Beschäftigte und Arbeitgeber unnötig zu belasten. 

Außerdem sind derzeit teilweise die Ausbildungskosten der Pflegekräfte in den Eigenanteilen enthalten. Geht es nach den Grünen, soll dies künftig aus Steuermitteln finanziert werden. Auch die Pflegeversicherung soll durch Steuermittel entlastet werden, etwa indem die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige vollständig erstattet werden. Außerdem wird in dem Papier gefordert, die Corona-Mehrkosten an die Pflegeversicherung zurückzuerstatten.

Der größte Teil der Pflegebedürftigen wird nicht im Heim, sondern zu Hause versorgt. Deshalb wollen die Grünen pflegende Angehörige besser unterstützen. So sollen die gesetzlichen Regelungen der Pflegezeit und Familienpflegezeit zusammengeführt werden, um pflegebedingte Erwerbspausen besser als bislang zu ermöglichen. Auch soll eine "verlässliche Lohnersatzleistung" eingeführt werden. Diese sei zentral, um "Pflege und Beruf miteinander vereinbaren zu können", heißt es in dem Papier.

Gesundheitsministerin Warken hat Bund-Länder-Gruppe eingesetzt

Auch im Bundesgesundheitsministerium ist man sich der chronischen Finanznöte im Pflegebereich bewusst. Für 2025 und 2026 zahlt der Bund der Pflegeversicherung Darlehen in Milliarden-Höhe. Diese sollen später zurückbezahlt werden, die Kassen warnen bereits, dass sie das nicht stemmen können. Nina Warken, Bundesgesundheitsministerin von der CDU, hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die erarbeiten soll, wie die Pflegeversicherung neu aufgestellt werden kann. Es wird erwartet, dass diese in der kommenden Woche ihre Ergebnisse präsentieren könnte. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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In einem politisch noch nicht abgestimmten Entwurf der jeweiligen Fachgruppen, der vorzeitig nach draußen drang und dem stern vorliegt, wird deutlich, dass derzeit noch umstritten ist, wie eine Dämpfung der Eigenanteile erfolgen könnte. Genannt wird etwa der "Sockel-Spitze-Tausch", der bedeuten würde, dass der Eigenanteil gedeckelt wird, während die Pflegeversicherung die restlichen Kosten übernimmt. Nicht nur die Grünen fänden das richtig, auch in der SPD findet dieses Modell Anklang. Allerdings wird als Alternative in dem Papier auch die Möglichkeit einer verpflichtenden Zusatzversicherung genannt, die dann einen bestimmten Prozentsatz des Eigenanteils absichern könnte. Auch was höhere Einnahmen angeht, werden in dem Papier zahlreiche Möglichkeiten genannt, etwa ein Ausbau des Pflegevorsorgefonds und eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze – allesamt hochumstrittene Vorschläge.

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