Kommissionsergebnisse Die Zeichen für die Pflegereform stehen schlecht

Nina Warken Pflegereform
Gesundheitsministerin Nina Warken: Weiterhin ist unklar, wie eine Pflegereform aussehen soll
© dts Nachrichtenagentur / Imago Images
Die Situation in der Pflege ist prekär – eine von Gesundheitsministerin Warken eingesetzte Kommission sollte Lösungen finden. Nun ist die Arbeit abgeschlossen. Was hat's gebracht?

Nein, es ist wahrlich nicht, was Nina Warken eigentlich versprochen hatte. Und so besteht die vornehmliche Aufgabe der Bundesgesundheitsministerin an diesem Donnerstag darin, alles ein bisschen besser darzustellen als es eigentlich ist. 

"Das heutige Ergebnis ist eine gute Grundlage für den weiteren Prozess", sagt die CDU-Politikerin, als sie im Ministerium vor die Presse tritt. Es gebe einen ambitionierten Zeitplan, um "die noch zahlreichen Enden im kommenden Jahr zusammenzubinden". Eigentlich waren zu diesem Termin Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege" vorgesehen. Doch wirkliche Ergebnisse kann Warken nicht präsentieren.

So scheint die größte Erkenntnis nach fünfeinhalbmonatigen Beratungen zu sein: We agree to disagree – wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind. In dem Papier werden zahlreiche Möglichkeiten für Reformen, die sich teils gegenseitig ausschließen, nebeneinander aufgelistet. Warken, die für die Pflegeversicherung zuständigen Minister und Senatoren aus den Bundesländern und die kommunalen Spitzenverbände konnten sich bislang nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan einigen.

Pflegereform: "Natürlich kann nicht jeder bei jedem Vorschlag einen Haken machen"

Die Beobachter, die von Anfang an monierten, es brauche nicht immer weitere Kommissionen, sei es bei Gesundheit, Pflege, Rente oder Sozialstaat, können sich bestätigt sehen. Schließlich sind die unterschiedlichen Vorschläge bekannt und durchanalysiert – am Ende geht es darum, eine politische Entscheidung zu fällen. Die aber ist in der wichtigen Frage der Finanzierung nach der Bund-Länder-Arbeitsgruppe so weit entfernt wie vor deren Einsetzung. "Natürlich kann nicht jeder bei jedem Vorschlag einen Haken dranmachen, das ist so", sagt die Ministerin.

Dabei ist der Druck immens: Die Milliardenlöcher, die sich in der Pflegeversicherung auftun, werden von Jahr zu Jahr größer – wenn nicht gegengesteuert wird. Aufgrund des Kostendrucks in der alternden Gesellschaft ist der Beitragssatz zu Beginn des Jahres auf 1,8 Prozent des Bruttolohns gestiegen. Um zu verhindern, dass sich das 2026 wiederholt, werden nun Milliarden-Darlehen in die Pflegeversicherung gepumpt.

Dabei übernimmt die Versicherung bei Pflegebedürftigkeit ohnehin nur einen Teil der Kosten. Der Großteil der rund 5,5 Millionen Menschen, die aktuell Leistungen der Pflegeversicherung beziehen, werden zu Hause versorgt, der Umfang ihrer Unterstützung hängt von ihrem "Pflegegrad" ab. Rund 15 Prozent sind in einem Pflegeheim untergebracht, dafür müssen Pflegebedürftige selbst immer mehr Geld aufbringen. Zuletzt lag der Eigenanteil erstmals durchschnittlich bei mehr als 3000 Euro pro Monat.

Einstufung in Pflegegrad 1 könnte schwieriger werden

Die Herausforderungen wolle man mit einer "großen Pflegereform" angehen, so steht es im Koalitionsvertrag. Nach Abschluss der Bund-Länder-Gruppe ist man sich immerhin darin einig, dass die Prävention stärker als bislang in den Blick genommen werden soll, um den Eintritt in die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Auch was die Pflegegrade angeht, könnte es zu Anpassungen kommen: Man wolle die "Schwellenwerte in der Begutachtungssystematik von Pflegebedürftigkeit" hinterfragen, heißt es im Papier. Es könnte in Zukunft also schwieriger werden, in den Pflegegrad 1 eingestuft zu werden.

Doch wie genau den steigenden Eigenanteilen in den Pflegeheimen begegnet werden soll, ist weiter umstritten. Genannt wird etwa der "Sockel-Spitze-Tausch", der bedeuten würde, dass der Eigenanteil gedeckelt wird, während die Pflegeversicherung die restlichen Kosten übernimmt. Dieses schon seit Jahren diskutierte Modell findet in der SPD Anklang, wird aber von der Union abgelehnt. Schon Warkens Vor-Vorgänger und Parteikollege Jens Spahn war bei dem Versuch gescheitert, die Idee umzusetzen.

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Alternativ könnte es zu einer "Dynamisierung" kommen, wodurch die Leistungsbeträge der Pflegeversicherung regelmäßig angepasst würden. Auch eine Zusatzversicherung, ob verpflichtend oder freiwillig, wird genannt, die dann einen bestimmten Prozentsatz des Eigenanteils absichern könnte.

Um die Einnahmen zu erhöhen, wird außerdem auf die Möglichkeit eingegangen, den Pflegevorsorgefonds, in dem ein Teil der Beiträge angelegt wird, renditeorientierter aufzustellen. Im Gegensatz zu vorherigen Entwürfen ist nun nicht mehr von einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze die Rede, die sich die SPD gut hätte vorstellen können. 

Allerdings muss das nicht heißen, dass dies nicht weiter diskutiert wird. Mit dem Papier habe man "im Wege eines Gesamtkompromisses" Formulierungen gefunden, mit welchen "Fragen adressiert" seien, sagte Warken. Aber es gebe auch Fragen, "die gar nicht im Papier sind, die aber trotzdem zu klären sind". 

Von einem stimmigen Konzept kann bislang also keine Rede sein. Die Grünen sprechen von einer "Hängepartie" bei der Pflege. "Statt dringend die notwendigen Entscheidungen zu treffen, verschiebt die Regierung die zentralen Weichenstellungen weiter", sagte die pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Simone Fischer, dem stern. "Dabei ist seit langem bekannt, dass die Pflegeversicherung ab 2027 akut zahlungsunfähig zu werden droht." Die Grünen fordern eine Begrenzung der Eigenanteile bei 1000 Euro und wollen dazu mehr Einkommen in die gesetzliche Versicherung einbeziehen, etwa Beamte oder Einnahmen aus Kapitalerträgen.

Das geht in eine Richtung, die sich auch die SPD gut vorstellen könnte. Mit der Union aber dürfte das kaum zu machen sein. Was also hat das jetzt alles gebracht? Die eindrücklichste Formulierung hat an diesem Donnerstag vielleicht Melanie Schlotzhauer, SPD-Sozialsenatorin in Hamburg, gefunden: "Wir haben jetzt gesehen, dass wir noch Fragen zu klären haben."

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