Revolte in Äygpten Regime eröffnet Jagd auf Journalisten

Von unserem Korrespondenten in Kairo
In Kairo ziehen Geheimpolizisten jeden aus dem Auto, der ausländisch aussieht. Das Regime hat Angst vor Freitag - und versucht mit aller Gewalt, Öffentlichkeit zu unterbinden.

Einen Kilometer vom Platz der Freiheit entfernt, neben einem Krankenhaus, stehen plötzlich ein Dutzend Männer mit Eisenstangen und Baseballschläger um unser Taxi. "Ausländer, Ausländer! Amerikaner!", schreien sie. Dann: "Kameras! Kameras!". Die Männer zerren an der Tür unseres Autos und drohen damit, die Fenster einzuschlagen. Dann eilt ein Geheimpolizist herbei und zwingt den Fotografen und mich auszusteigen. Zwei Polizisten in Uniform beruhigen die extrem aggressiven Männer und führen uns im Polizeigriff ab.

Wir stehen nun an der Straßenseite. "Seid ihr Journalisten?", wollen sie wissen. Und: "Was macht ihr beruflich? Wann seid ihr nach Ägypten gekommen?". Sie durchsuchen unsere Rucksäcke. Sie wollen wissen, wo unsere Botschaften in Ägypten sind, wie der Botschafter heißt. Warum wir noch nicht ausgereist sind, wo doch die Lage so gefährlich ist.

Ein al-Arabiya-Reporter wurde verprügelt

Sie befragen uns 45 Minuten lang. Sie wollen die Kameras mitnehmen und uns einsperren, da "der Verdacht besteht, dass ihr Journalisten sind". Nur durch Glück und durch vieles Reden auf Arabisch kommen wir aus der Sache raus.

Andere Journalisten aber hatten weniger Glück. Seit Mittwoch machen Polizisten in Uniform, vor allem aber in Zivil, eine regelrechte Jagd auf Reporter. Ein Korrespondent des arabischen Fernsehsenders "al Arabiya" wurde verprügelt. Das Büro des Senders wurde von einem Mob angegriffen, die Fenster eingeschlagen. Als die Journalisten der unabhängigen Tageszeitung "Al Masry Al Youm" hörten, dass die Redaktion der Zeitung "Shourouq" gestürmt werden sollte, evakuierten sie ihr Gebäude. In der neuen Redaktion haben sie Bauhelme gebunkert, für den Fall der Fälle.

Unter den Reportern kursiert das Gerücht, dass New-York-Times-Journalisten festgenommen wurden, wie auch vier israelische und belgische Journalisten. Und es dürften noch viel mehr sein, denn fast jeder große Fernsehsender berichtet über ähnliche Vorfälle.

"Sogar Diplomaten wurden einkassiert"

Angeblich wurden auch Kameraleute samt Ausrüstung aus dem großen Hotel gezogen, in dem viele Journalisten ihre Livekameras mit Blick auf den Tahrir-Platz montiert haben. "Sogar Diplomaten wurden einkassiert", erzählt ein Schweizer Journalist.

Das System ist völlig außer Kontrolle geraten und schreckt anscheinend vor nichts mehr zurück. Denn die Angst vor dem Freitag ist groß. Dann geht es um das Überleben des Regimes. "Ich würde einen Bürgerkrieg nicht mehr ausschließen", sagt Muhammed, 55. Er verkauft in seinem kleinen Kiosk Zigaretten - sie gehören zu den wenigen Dingen, die noch einfach zu kaufen sind. "Die Regierung hat die Gesellschaft gespalten", sagt Muhammed. "Das wird nie mehr so sein wie früher."

Die Spaltung geht bereits so weit, dass Leute, die früher vor den Muslimbrüdern warnten, nun darauf hoffen, dass nach zum traditionellen Freitagsgebet Millionen in die Moscheen gehen. Und anschließend direkt auf die Straße, um den Präsidenten aus seinem Palast zu jagen.

"Jetzt gibt es kein Zurück mehr"

"Es gibt jetzt einen Showdown. Freiheit gegen Diktatur", sagt Heba Atef, 23, eine Studentin, die seit Tagen auf dem Tahrir-Platz demonstriert. "Wir werden nicht aufgeben, denn wenn wir jetzt verlieren, wird dieses diktatorische Regime in den Wochen danach noch brutaler zurückschlagen als sonst." Sie ist nicht allein mit dieser Sorge. "Ich habe in diesen Tagen im Internet so viele Sachen gegen die Regierung geschrieben, dass die mich lebenslänglich einsperren können", sagt Mostafa Abd Elrahim, ein Rechtsanwalt. "Ich bin so weit gegangen, jetzt gibt es kein Zurück mehr."

Was auch immer in den nächsten Tagen passieren wird. Das Land jedenfalls wird lange brauchen, bis es wieder zur Ruhe kommt. Denn das einzige, was heute an das Ägypten vor dem Chaos erinnerte, war ein einsamer, alter Schuhputzer in einer sonst sehr belebten Straße im Stadtteil Zamalek. Zwei Stunden saß er auf dem Gehsteig, ein Kunde kam, das machte 30 Cent Umsatz. Das reicht zwar für eine Dose Cola - nicht aber für seine zwei Kinder und seine Frau, die daheim seit einer Woche auf Essen und Geld warten.