Die bevorstehende Offensive der ukrainischen Streitkräfte hat massive Auswirkungen auf die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja, das von russischen Truppen besetzt ist. Grund seien die Evakuierungen von Akw-Mitarbeitern durch die Russen. Die Mitarbeiter leben hauptsächlich in der Stadt Enerhodar in unmittelbarer Nähe zum Akw: "Nach unseren Informationen sollen 7000 Menschen evakuiert werden aus Sorge vor der Rückeroberung durch die Ukraine", sagte Petro Kotin, Chef der ukrainischen Betreibergesellschaft Energoatom, dem Deutschlandfunk.
Ein großer Teil der Bewohner arbeitet in dem Akw und es ist nicht klar, wie viele von ihnen bleiben, um das Akw weiterzubetreiben. "Die Sicherheit nimmt ab", warnte Kotin. Das Akw sei in einem sehr ernsten Zustand, auch, weil die Russen viel Material und Technik gestohlen hätten. Der Generalsekretär der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, hatte bereits am Wochenende vor dramatischen Folgen gewarnt. Die Lage sei laut Grossi, "zunehmend unvorhersehbar und potentiell gefährlich". Er sagte: "Wir müssen jetzt handeln, um einen ernsten Atomunfall und seine Folgen für Bevölkerung und Umwelt zu vermeiden."
Ukraine hält Kontakt zu Mitarbeitern in Saporischschja
Kotin betonte, dass er und seine Behörde in Kontakt mit den rund 2000 Mitarbeitern stünden, die keine Arbeitsverträge mit dem russischen Betreiber abgeschlossen hätten, um Einfluss auf die Lage vor Ort zu nehmen. Allerdings könne er nicht sagen, in welchem Zustand sich das Akw tatsächlich befinde. Kotin geht offenbar davon aus, das Saporischschja bald wieder in ukrainischer Hände falle. "Ich kann ihnen nicht sagen, in welchen Zustand wir das Akw zurückerhalten werden", sagte er, aber es gäbe "viel zu reparieren".
Wie fragil die Lage ist, verdeutlicht auch die Tatsache, dass im vergangenen Jahr sechs Mal die Stromversorgung der Reaktoren zusammengebrochen und die Notstromaggragate hätten einspringen müssen, berichtete Kotin weiter.
Die stationierten Waffen bereiten zusätzliche Sorge
Zusätzliche Sorge bereiten die Waffen, die die Russen auf dem Akw-Gelände stationiert hätten. Der Funke-Mediengruppe erzählte Kotin, dass die russischen Truppen in Saporischschja automatische Waffen auf den Dächern der sechs Reaktorgebäude stationiert hätten. Allein das sei streng verboten. Zudem hätte die russische Armee in Erwartung einer ukrainischen Offensive das Gelände um das Akw vermint. "Die Besatzer haben viele Landminen in der Peripherie und auf dem Gelände des Kraftwerks verlegt", sagte Kotin der Funke-Gruppe. "Es gibt dort viele Tiere, Füchse, Wildschweine oder Hunde, deswegen kommt es immer wieder zu Explosionen, die zu Schäden führen." Überprüfen lassen sich die Angaben nicht.
Vor Beginn des Krieges am 24. Februar 2023 hingen 55 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Ukraine an den sechs Reaktorblöcken des Akw im Süden der Ukraine. Sollte das Kraftwerk wieder in ukrainische Hände fallen, wäre das ein großer Erfolg für das Land. Das Land ist auf den Strom des Akw angewiesen. Aktuell sind alle Blöcke heruntergefahren und werden notdürftig mit Strom aus der Ukraine versorgt. In Friedenszeiten arbeiten auf dem weitläufigen Gelände bis zu 12.000 Menschen, die in Enerhodar lebten.
Quellen: "Deutschlandfunk", "n-tv", "Frankfurter Allgemeine Zeitung"