Sehr viele unter Schwedens sieben Millionen stimmberechtigten Bürgern sind unmittelbar vor der Volksabstimmung über den Euro und kurz nach dem Mord an ihrer Außenministerin Anna Lindh stark verunsichert. Wie viele aber, und ob Sympathiestimmen für die überzeugte Euro-Verfechterin Lindh tatsächlich den Ausschlag für ein Ja geben könnten, blieb wohl auch für die Demoskopen ein Buch mit sieben Siegeln. "Wir haben einfach keine Erfahrungswerte für die Auswirkungen eines so dramatischen Ereignisses auf das Stimmverhalten", meinte ein Wahlforscher im Rundfunk.
Umfragen mit höchst unterschiedlichen Resultaten
Vier Euro-Umfragen mit höchst unterschiedlichen Resultaten wurden nach dem Tod Lindhs veröffentlicht. Den telefonisch Befragten mögen ganz andere Fragen im Kopf herumgegangen sein, als sie Donnerstag oder Freitag telefonisch nach ihrem Verhältnis zum Euro gefragt wurden. Mehr als hunderttausend Schweden gingen überall im Land am späten Freitagnachmittag zu Gedenkveranstaltungen für Lindh, allein in Stockholm 50 000 und in Göteborg 30 000. Die Kampagnen zum Euro-Referendum waren schon am Mittwoch nach dem Messer-Attentat komplett eingestellt worden.
Stattfinden sollte einzig die auch in Schweden für den Ausgang von Wahlen und Volksabstimmungen ungeheuer wichtige Abschlussdebatte im Fernsehen. Eigentlich war die Sozialdemokratin Lindh mit ihrem Parteivorsitzenden und Ministerpräsident Göran Persson zusammen mit dem konservativen Ex-Regierungschef Carl Bildt als Vertreterin der Ja-Seite vorgesehen.
Nach dem gewaltsamen Tod der 46-Jährigen saßen nun die sieben Vorsitzenden aller Reichstagsparteien ganz in Schwarz gekleidet. Über das Für und Wider der gemeinsamen EU-Währung verloren sie kein Wort.
"Nicht lähmen lassen"
Stattdessen lieferten sie in der folgenden Stunde einen wohl alle Zuschauer beeindruckenden Versuch, würdig und mit Respekt vor der Toten ihre Gedanken und Gefühle über Konsequenzen aus dem Attentat zu formulieren. "Wir dürfen uns von Zorn und Verzweiflung nicht lähmen lassen", sagte Persson und benannte immer wieder eine hohe Wahlbeteiligung am Sonntag als einzig richtige Antwort auf die Gewalttat.
Dieser Botschaft schlossen sich die anderen sechs Vertreter beider Seiten an, niemand machte den Versuch, mit falschem Pathos Kapital aus der aufgewühlten Gefühlslage bei den Wählern zu schlagen, auch der zurückhaltend auftretende Persson nicht. Für den Regierungschef war die gesamte Ja-Kampagne zuvor politisch katastrophal verlaufen. Niemals hatte er als sozialdemokratischer Spitzenmann mit Unterstützung der bürgerlichen Opposition aus Konservativen, Christdemokraten und Liberalen den klaren Vorsprung der Euro-Gegner auf deutlich unter zehn Prozentpunkte drücken können. Das Rennen galt als gelaufen.
Trotz der Möglichkeit eines Schwenks in letzter Minute als Folge des Mordes an Lindh versicherten die Nein-Sprecher auch im Fernsehen immer wieder, sie würden das Ergebnis voll und ganz respektieren. Aus dem Lager der Euro-Gegner aus dem bäuerlich-liberalen Zentrum zusammen, Grünen und der Linkspartei sowie einer starken Minderheit in der Sozialdemokratie gab es auch keine Stimme für eine Verschiebung des Referendums. "Das wäre ja ein Sieg für den Attentäter. Respekt gegenüber Anna Lindh bedeutet auch, dass demokratische Grundrechte gegen Gewaltakte durchgesetzt werden müssen", meinte Ulla Hoffmann von der Linkspartei.
Gerangel über das Wie
Dennoch gab es hinter den Kulissen durchaus Gerangel über das Wie dieser TV-Debatte, aus der die nicht an Parteien gebundenen Nein-Vertreter ausgeschlossen waren. Massiv beschwerten sich auch Euro- Gegner beim Fernsehen, als am Freitag unter den Gedenksendungen für Lindh mehrfach eine ihrer Kampagnen-Reden ausgestrahlt wurde. Sollte die Stimmenauszählung am Sonntagabend ein knappes Ja ergeben, müssen sich die Schweden auf bittere Kommentare aus dem so lange souverän führenden Nein-Lager einstellen.