Es war ein historischer Moment: Bei seiner erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn versicherte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Rede vor dem US-Kongress, dass sich sein Land gegenüber den russischen Aggressoren "niemals ergeben" werde. Zugleich rief er am Mittwoch in Washington zu weiterer Hilfe auf und betonte, dass diese "eine Investition in die weltweite Sicherheit" sei – und "keine Wohltätigkeit". "Im Gegensatz zu all den dunklen Vorhersagen ist die Ukraine nicht gefallen", sagte Selenskyj. "Die Ukraine lebt und kämpft."
Für seinen Auftritt genau 300 Tage nach Beginn der russischen Invasion kamen beide Kammern des US-Parlaments zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen. Abgeordnete und Senatoren empfingen den Gast mit lang anhaltendem stehenden Applaus.
Auch die internationale Presse findet lobende Worte für den Auftritt des ukrainischen Präsidenten – und feiert das neu gestärkte Bündnis zwischen Europa und den USA. Die Pressestimmen im Überblick.
"Mehr als eine Umarmung zwischen Selenskyj und Biden"
"Washington Post" (USA): "Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Karriere im Komödienfach gemacht, aber die russische Invasion in seinem Land vor 10 Monaten hat sein Talent für das Drama zum Vorschein gebracht – und zwar von der inspirierendsten Art. (...) Seine Rede (vor dem US-Kongress) bildete den Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen, zu denen auch die offizielle Bestätigung von Präsident Biden gehörte, dass die Vereinigten Staaten ein Patriot-Raketenabwehrsystem in die Ukraine schicken werden."
"The Times" (Großbritannien): "Sein Besuch unterstreicht die Bedeutung der von den USA bereits geleisteten Militärhilfe in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Zudem verleiht er dem Vorschlag der Regierung von Präsident Joe Biden für ein weiteres Nothilfepaket in Höhe von 45 Milliarden Dollar starken Rückhalt. Der Kongress wird dies wahrscheinlich genehmigen, zumal die Demokraten derzeit noch das Repräsentantenhaus kontrollieren. (...) Nichtsdestotrotz: Noch vor zehn Monaten hatten die USA angeboten, Selenskyj vor einer wahrscheinlichen Niederlage in Sicherheit zu bringen. Jetzt hingegen planen sie, wie die Ukraine jedwede neue russische Offensive Russlands abwehren und sogar gewinnen kann."
"Público" (Portugal): "Bei der Pressekonferenz mit Wolodymyr Selenskyj sagte der Präsident der mächtigsten Nation der Welt: 'Wir werden diesen Krieg gewinnen'. Diese Aussage (Joe Bidens) beschreibt nicht nur die Bedeutung des Besuchs des ukrainischen Präsidenten in Washington, sondern auch alles, was in diesen Zeiten wichtig ist. Und das ist die Verteidigung der Demokratie, der Souveränität der Staaten, des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker, der Zivilisation und des Friedens durch die USA und Europa. Die Symbolik des Treffens zwischen Selenskyj und Biden bekräftigt ein Bündnis, eine Wahl zwischen Licht und Dunkelheit, Demokratie und Autokratie, Vernunft und Brutalität."
Wie sich die Fronten in der Ukraine seit Beginn des Krieges verschoben haben

"Die Amerikaner holen in Europa die Kohlen aus dem Feuer"
"Die Zeit" (Deutschland): "Es war das erste Mal, dass Selenskyj seit Beginn des Krieges sein Land verlassen hat, zumindest das erste Mal, dass der dies öffentlich tut – am 300. Tag des Gemetzels. Es ist eine Geste des Triumphs. (...) Jetzt drückt er 8.000 Kilometer weiter westlich dem amerikanischen Präsidenten vor dem Weißen Haus die Hand. Im Kongress sagt er: 'Entgegen aller düsteren Vorhersagen ist die Ukraine nicht gefallen. Ukraine is alive and kicking – die Ukraine lebt.' Es ist dieselbe Botschaft wie im Februar, der Präsident lebt und ist hier, machtvoll erneuert."
"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): "Die Ukraine wird eine Niederlage in ihrem Abwehrkampf nur abwenden können, wenn sie mehr als bloß prestigeträchtige Empfänge und Worte der Aufmunterung erhält. Daher ist es ein erfreuliches Zeichen, dass die USA den Applaus für Selenskyj mit neuen Zusagen für Militär- und Wirtschaftshilfe verbinden. Das jüngste Paket umfasst erstmals auch ein Patriot-Flugabwehrsystem – eine hochmoderne Defensivwaffe, die Linderung gegen den Terror der russischen Luftangriffe verspricht und zahlreichen Zivilisten das Leben retten wird. (...) Diese Relationen verdeutlichen, dass es nach zwei Weltkriegen und den Jugoslawienkriegen einmal mehr die Amerikaner sind, die in Europa die Kohlen aus dem Feuer holen. Dass sie Putins Barbarei nicht einfach zuschauen, ist keineswegs selbstverständlich – säße heute noch immer der Kreml-Bewunderer Trump im Weißen Haus, wäre Amerika kaum eine verlässliche Stütze der Ukrainer."