Nina Benvenuti ist gekommen, um die Freiheit zu verteidigen. Sie steht am Corso die Porta Vittoria gegenüber dem Mailänder Justizpalast, dort, wo der Prozess gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi stattfindet. Sie blickt auf die Kamerateams, die das Gebäude umlagern. In ihrem Rücken stehen mindestens zehn Übertragungswagen, die Livebilder in die Welt senden. "Berlusconi hat nichts Schlimmes gemacht. Man wird ihm nie nachweisen können, dass er mit Minderjährigen geschlafen hat", sagt sie trotzig und gibt sich kurzerhand als Sprecherin sämtlicher Frauen Italiens: "Davon abgesehen: Alle in diesem Land möchten mit Berlusconi zusammen sein."
Es ist der erste Verhandlungstag in einem der spektakulärsten Prozesse der Landesgeschichte. Hinter den Mauern des Justizpalasts haben drei Richterinnen zum ersten Mal in der Frage verhandelt, ob Berlusconi wirklich mit der minderjährigen Marokkanerin Karim el-Mahroug, genannt Ruby, geschlafen hat und ob er sein Amt missbrauchte, als er sich eines Nachts mit einem Anruf bei der Polizei für sie mit dem Argument einsetzte, sie sei mit dem früheren ägyptischen Staatschef Honsi Mubarak verwandt.
Die zwei wichtigsten Protagonisten erscheinen erwartungsgemäß nicht. Die Anklagebank ist leer, der Regierungschef hat sich entschuldigt, weil er "dienstlich" verhindert sei. Auch Ruby ist nicht da. Und wirklich Brisantes wird am ersten Verhandlungstag auch nicht behandelt. Statt um wilde "Bunga-Bunga"-Partys in der Villa des Cavaliere bei Mailand geht es zum Auftakt des Prozesses um Formalien. Paolo Boccardi, der Anwalt der inzwischen 18-jährigen Marokkanerin, wartet immerhin mit einer Überraschung auf: Sie wird nun doch nicht als Zivilklägerin gegen Berlusconi auftreten, denn sie habe niemals Sex mit ihm gehabt. "Und sie hat auch immer gesagt, dass sie sich nie prostituiert hat."
Zwischen Gegnern und Verehrern
Ende des ersten Prozesstages. Ganze fünf Minuten sind bis dahin verstrichen. Der Streit um Gerechtigkeit findet derweil draußen statt. Vor dem Justizpalast stehen Gegner wie Unterstützer Berlusconis und bekunden - je nach Lager - Ab- oder Zuneigung. Auf der Straßenseite des Justizpalastes haben sich die versammelt, die Berlusconi vor Gericht sehen wollen. Etwa die ältere Signora Ilda Ranzi. Zwei Stoffblumen hat sie dabei, eine in den Regenbogenfarben der Friedensbewegung, die andere in den Landesfarben Italiens. "Ich bin nicht hier, um Krach zu machen", sagt sie. "Ich möchte nur, dass unser Regierungschef sich vor Gericht verantwortet, wie jeder andere auch."
Auf der anderen Straßenseite sind die Unterstützer Berlusconis. Sie haben einen Pavillon aufgebaut und ein Spruchband aufgehängt: "Die Freiheit wird nicht im Gericht sondern mit dem Wahlgesetz verteidigt", steht darauf geschrieben. Zahlreiche Damen im mittleren Alter - unter ihnen Nina Benvenuti - sind gekommen, um dem Premier klar zu machen, dass sie ihn seit Jahrzehnten verehren. Aber auch Parteimitglieder wie Giovanni Esposito, ein Wirtschaftsprüfer, der schon seit mehr als sechs Wochen hier eine Mahnwache hält, ist auf Seiten der Fans. "Ich bin hier, um Berlusconi zu verteidigen", sagt er. Er sieht seinen Polit-Star als Opfer einer linken Justiz.
"Das ist doch lächerlich"
Berlusconis Regierungstruppe hat die Stimmung kräftig angeheizt. Das dem Regierungschef zugeneigte Parlament erklärt per Mehrheitsentscheidung, dass das Mailänder Gericht gar nicht zuständig sei. Vielmehr müsse der Fall vor einem Sondergericht für Regierungsmitglieder verhandelt werden. Immerhin habe Berlusconi des Nachts bei der Polizei angerufen, weil er wirklich geglaubt habe, Ruby sei mit Mubarak verwandt. Er habe einen diplomatischen Skandal verhindern wollen. Über die Frage muss nun das Verfassungsgericht entscheiden.
"Das ist doch lächerlich", ruft der Pensionär Carmine Marafioti. "Was bitte soll das für ein Premier sein, der wirklich so etwas glaubt? Ich lache mich tot", ruft er einem Unterstützer Berlusconis entgegen. Bis die Frage geklärt ist, dürfte einige Zeit vergehen. Der nächste Verhandlungstag ist für den 23. Mai angesetzt.
Der skandalumwitterte Berlusconi, der derzeit immerhin in vier Gerichtsverfahren steckt, glaubt laut seinem Anwalt, Oberwasser zu haben. "Wichtig an der Sitzung heute war, dass auch die Signorina Ruby sich in diesem Prozess nicht als Zivilpartei konstituiert hat", frohlockt sein Verteidiger Giorgio Perroni. Felsenfest ist der Anwalt davon überzeugt: "Dieser Prozess wird ergeben, dass Berlusconi mit beiden Anklagepunkten nichts zu tun hat." Es gehört dabei zur Strategie des Berlusconi-Teams, immer wieder zu beteuern, der Cavaliere wolle an allen Prozesstagen wirklich dabei sein. Es sei denn, es komme ihm etwas dazwischen! Wie an diesem Mittwoch eben, als er in seinem römischen Regierungspalazzo Chigi eine Ministerrunde zu Libyen leiten musste.