Drei reiche Amerikaner reisen 1947 von New York nach Tanger in Marokko. Ihr Ziel: Der Eintönigkeit ihres westlichen Lebens zu entkommen und in der Sahara neuen Sinn zu finden. Im Hafen von Tanger posiert die Frau des Trios mit Tropenhut vor der Kulisse, die nur Kulisse bleibt, für Fotos und sagt den legendären Satz: "Wir sind keine Touristen, wir sind Reisende." Warum? Ein Tourist denke, in dem Moment, als er ankommt, schon wieder an die Heimat, wohingegen der Reisende vielleicht nie zurückkomme.
Ein paar Jahrzehnte später und ein paar hundert Kilometer weiter östlich wird nach Bertoluccis Film "Himmel über der Wüste" die Kulisse neu besetzt. Auf den Dünen eines Touri-Camps aalen sich selbsternannte Influencerinnen im Sand. Natürlich ist ein Kameramann mit dabei, sonst müsste die Natur für sich selbst sprechen. Und auch Stylistinnen wurden extra eingeflogen, damit die Millennial-Story auch richtig sitzt. Später liest man unter #tunisia dann Einträge vom Charme und der Stille und der Erhabenheit der Wüste, die aber erst kommen, wenn die Touristen gehen.
Dabei ist Instagram ja gar nicht Schuld. Die ganze Misere fängt ja schon in den antiken Reiseberichten an, wenn von großen Abenteuern und der exotischen Fremdheit der Ureinwohner Arabiens erzählt wird – nur, dass man früher noch tatsächlich an der Ruhr sterben konnte und nicht an einem verdorbenen Ei vom Frühstücksbuffet in einem schlechten Drei-Sterne-Hotel.
Die Enden der Welt passen nicht ins 1:1-Format
Schuld sind ja wir selbst. Wir wollen das Exotische und die gute Geschichte, aber bitte mit Komfort. Wir wollen das Bild, das sagt, ich war hier. Früher haben wir das noch mit Scherben in die Mauern des Kölner Doms geritzt, das hatte aber den Nachteil, dass es eben nur die Leute sahen, die auch selbst dorthin kamen. Heute muss es jeder sehen. Quadratisch, praktisch, gut. Aber die Enden der Welt passen nicht ins 1:1-Format. Sie brauchen auch keinen Drama-Filter. Das echte Leben ist ja dramatisch genug.
Als ich einmal in den Iran reiste hörte ich an einem Abend durch die dünnen Wände einer heruntergekommenen Absteige in Shiraz einige deutsche Wortfetzen. Als ich am Nachbarzimmer klopfte, öffnete ein alter Freund, der zufällig ebenfalls dort war und zufällig für den nächsten Tag die gleiche Wüstentour gebucht hatte wie ich. Schließlich stand das als Insider-Tipp so im Lonely Planet.
Das Problem ist natürlich nicht, dass man solche Reisen unternimmt. Das Problem sind die Geschichten und Fotos danach, die jeden Ausflug in den Harz als eine Reise ans Ende der Welt erscheinen lassen. Auch wenn dort vermutlich wirklich eins liegt. "Alles so schön kaputt hier, so schön ursprünglich, und die Leute so zurückgeblieben, aber trotzdem so herzlich", sagen manche Unterwegsseiende dann vielleicht. Und der Satz wäre in Abu Mingar oder Doura Europos genau so wahr wie in Clausthal-Zellerfeld. Nur dass im Harz Orte wie Elend und Sorge die Reisenden warnen und nicht locken mit ihren exotischen Namen.
Das Leben verkommt zum Event
Das Ganze geht dann soweit, dass in der Provence ein Bauer ein großes Plakat in einen einsamen, in einem endlosen Lavendelfeld stehenden, Baum hängt. "Respektiert unsere Arbeit, bitte". Und damit den unzähligen Instagrammern, die die Felder in Scharen kaputt trampeln, die Kulisse versauen.
Das Leben verkommt zum Event. Jeden Tag muss etwas passieren, muss etwas geposted werden. Schriftsteller Roger Willemsen, der die Strapazen der Reisen ans Ende der Welt kennt, weil er zum Beispiel einmal einen melancholischen und diarrhöenden Affen auf dem Arm mit dem Boot durch den Dschungel von Borneo zu einer Auffangstation trug, sagte es auch so: "Der Tourist will immer einen Schnappschuss machen. Ich und die Hagia Sophia, ich und die nächste Sehenswürdigkeit. Der Reisende bleibt, verschwindet und fragt sich: Was ist hier, wenn ich nicht da bin?" Der Reisende erkennt irgendwann Muster und Strukturen im Leben eines Ortes, im Leben einer Gesellschaft.
Tourist? Ich habe nicht widersprochen
Vor einiger Zeit reiste ich nach Tripolis. Die libysche Hauptstadt ist umkämpft, das Land, von dem aus sich die meisten Migranten auf den Weg in Richtung Europa machen, ist ein einziger Flickenteppich verschiedener Einflussgebiete von mehr oder weniger radikalen Milizen. Trotzdem geht das Leben ja weiter, vielleicht existiert es in unseren Vorstellungen nur nicht, weil wir es nicht auf Instagram sehen. Die Menschen in Tripolis haben ja anderes zu tun. Also ging ich auf den Markt, um mir den Alltag anzuschauen und machte meine Fotos. Ein älterer Stoffhändler kam zu mir. "Bruder, ich schwöre, Du bist der erste Tourist hier seit zwei Jahren." Ich habe nicht widersprochen.