Uribe sei ein "Krimineller", ein "Mafioso", ein "Paramilitär", der mit terroristischen Aktionen einen Krieg provoziere, schimpfte der venezolanische Staatschef Chávez Anfang März. Kurz zuvor hatten kolumbianische Elitesoldaten ohne Absprache mit den Nachbarländern ein Camp der Farc-Rebellen in Ecuador attackiert. Die verbündeten Links-Regierungen Venezuelas und Ecuadors reagierten mit einem Aufmarsch ihrer Truppen.
Das Säbelgerassel gehört der Vergangenheit an. Chávez vollführte in den letzten drei Monaten einen Kurswechsel um 180 Grad. Trotz unverhohlener Sympathie für die marxistischen Dschungelkämpfer erklärte er den Guerillakampf der Farc für überholt. Stattdessen versucht er nun, das Verhältnis zu Uribe, seinem ärgsten Rivalen in der Andenregion, zu normalisieren.
"Wir reden wieder miteinander"
"Wir haben uns harte Worte gesagt. Aber unter Brüdern passiert so was", erklärte Chávez vor dem Uribe-Besuch ungewohnt warmherzig. Auch sein kolumbianischer Kollege gab sich kuschelig: Noch enger wolle er die Verbindungen zum venezolanischen Brudervolk gestalten. Mit dem Treffen in Coro 200 Kilometer westlich von Caracas setzen die zwei Streithähne nun ein Zeichen. Das Motto heißt: "Wir reden wieder miteinander."
Uribe hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für seine eintägige Stippvisite aussuchen können. Nach der Befreiung der weltweit bekannten Symbolfigur Betancourt ist er in seiner Heimat so populär wie nie zuvor. Sein Beliebtheitsgrad erreicht historische 92 Prozent. Spekulationen über die Zahlung von Schmiergeldern an die Farc ändern nichts an der Tatsache, dass Uribe der Guerilla eine schwere, womöglich entscheidende Niederlage beigebracht hat.
Chávez als Vermittler im innerkolumbianischen Konflikt nicht mehr gefragt
Zu gerne hätte Chávez selbst die Befreiung von Betancourt verkündet, als Vermittler zwischen der Farc und Uribe. Im vergangenen Jahr hatte er sich mit seinen guten Kontakten zur Guerilla in die Verhandlungen über eine Geiselfreilassung eingeschaltet. Der kolumbianische Kollege entzog ihm jedoch das Mandat. Der Zwischenfall bildete den Auftakt für die diplomatische Krise zwischen beiden Ländern.
Nun, da Betancourt auf freiem Fuß sei, gebe es gar keine Rechtfertigung mehr, weswegen Chávez noch einmal seine Vermittlerrolle aufnehmen sollte, sagt Miguel Latouche, Politikwissenschaftler an der Universidad Central de Venezuela in Caracas, der größten Hochschule des Landes. "Uribe ist dabei, den Krieg gegen die Farc zu gewinnen." Chávez mit seinem geübten Machtinstinkt hat das erkannt. Militäroffensiven und zuletzt der Verlust ihrer wichtigsten Geiseln haben die älteste südamerikanische Guerillagruppe so sehr zermürbt, dass der Ex-Oberst trotz ideologischer Übereinstimmungen das Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Farc verloren habe, glaubt Latouche.
In der Außenpolitik des venezolanischen Revolutionsführers stehe der Export seines bolivarischen Sozialismus an oberster Stelle. Dem ordne er auch die Wahl seiner Verbündeten unter. "Wenn die Farc schwach ist, ist sie für Chávez kein wichtiger Faktor mehr. Da ist der venezolanische Präsident sehr pragmatisch", erklärt der Politikwissenschaftler.
Gerade innenpolitische Interessen bringen Chávez und Uribe zusammen
Auch handfeste innenpolitische Interessen bringen Chávez wieder mit Uribe zusammen. Der venezolanische Präsident befindet sich in seiner Heimat momentan in der Defensive, sagt Victor Mijares, Politikprofessor an der Universidad Simon Bolivar in Caracas. Im November muss der Comandante mit seiner neu gegründeten Massenpartei PSUV die Regionalwahlen gewinnen. In etlichen Bundesstaaten rebelliert die sozialistische Basis aber gegen seine Kandidaten. Die Opposition wittert Morgenluft. Sie will den Sozialisten möglichst viele Bürgermeister- und Gouverneursposten wegschnappen. Chávez muss sich auf den Wahlkampf konzentrieren, weitere außenpolitische Krisen wären da hinderlich.
Bei ihrem ersten bilateralen Treffen seit Beginn der politischen Spannungen werden Chávez und Uribe den gigantischen Raffineriekomplex Paraguaná besuchen. Sicherlich kein Zufall. Der Warenaustausch zwischen Venezuela und Kolumbien erreichte 2007 den Rekordwert von sechs Milliarden US-Dollar, sagt der Chef der Handelskammer beider Länder in Caracas, Luis Alberto Russián. Unbeeindruckt von der politischen Krise wuchsen die bilateralen Ein- und Ausfuhren im ersten Halbjahr 2008 um satte 25 Prozent.
Frieden aus Pragmatismus
"Beide Länder sind wirtschaftlich aufeinander angewiesen", betont Russián. Ohne Lieferungen aus dem Nachbarland wären den venezolanischen Supermärkten schon längst Fleisch und andere Lebensmittel ausgegangen. Für kolumbianische Unternehmen wiederum ist das Ölland zweitwichtigster Absatzmarkt nach den USA. Die enge wirtschaftliche Verflechtung zwingt die Präsidenten zur Rücksichtnahme.
Chávez und Uribe begraben das Kriegsbeil also alles in allem vor allem aus pragmatischen Erwägungen. Eine tiefgreifende, oder gar persönliche Annäherung werden die zwei Politiker nicht erzielen. Dazu sind ihre Visionen zu verschieden. Der treue US-Alliierte Uribe ist ein Verfechter des neoliberalen Wirtschaftsmodells, Chávez hingegen strebt eine Neuauflage des Sozialismus und größtmögliche Unabhängigkeit von Washington an. "Die strategischen Differenzen sind so gewaltig, da bleibt kein Platz für Freundschaft", schlussfolgert Politikexperte Mijares.