Marine Vincent: "Woran ich mich am besten erinnere ist sein Bart und dass er Allahu Akbar gesagt hat. Dann habe ich gedacht: verdammter Mist, das ist ein Terroranschlag."
3. Juni 2017: Drei Terroristen fahren mit einem Lieferwagen in eine Gruppe von Fußgängern auf der London Bridge. Kurz danach stechen sie im nahe gelegenen Marktviertel wahllos mit Messern auf Menschen ein. Die Französin Marine Vincent sitzt mit einer Freundin auf der Terrasse einer Bar nahe der London Bridge. Als ihr Kellner schwer verletzt zu Boden sinkt, springt Marine auf, um Hilfe zu holen.Marine Vincent: "Ich habe gedacht, dass die Brücke wahrscheinlich der beste Weg für die Flucht ist. Ich habe mir mein Telefon geschnappt und bin losgerannt – direkt in das Messer des Terroristen hinein. Es war also eigentlich ein sehr kurzer Lauf. Ich habe mich umgedreht und dann hat er mich noch einmal mit dem Messer gestochen."
Sechs Tage später erwacht Marine Vincent im Krankenhaus aus dem Koma. Bei dem Anschlag werden acht Menschen getötet, mindestens 48 Menschen werden verletzt. Marine Vincent: "Mir wurde ins Gesicht, in den Bauch und auch in den Rücken gestochen. Ich hatte viele sehr ernste Verletzungen, ziemlich viele sogar. Ich musste acht Stunden operiert werden an dem Abend. Der Arzt hat mir das Leben gerettet – vielen Dank. Offensichtlich habe ich immer noch Narben, aber jetzt geht es mir gut. Ich denke, das ist ein Wunder. Die offensichtlichste Narbe ist die auf meinem Gesicht, weil er einen Nerv durchtrennt hat. Deswegen hatte ich eine Gesichtslähmung. Es ist schon besser geworden. Letzten Juli wurde noch einmal operiert. Da haben sie den Nerven und den Muskel wieder miteinander verbunden. Das ist der Grund, warum ich meine Narben mag – sie sind Teil meiner Reise, Teil meiner Geschichte. Ich mag die Narben, weil sie zu mir gehören. Nicht, weil es ein Topmodel-Körper ist, sondern meiner. Ich glaube, dass es für die Leute wichtig ist, zu verstehen, dass Menschen dich lieben, auch wenn du nicht perfekt bist – körperlich. Sie messen dich an deinem Verhalten, an dem was du denkst."
Inwiefern haben Sie sich mit den Attentätern beschäftigt?Marine Vincent: "Ich glaube nicht, dass sie gewonnen haben. Was wollten Sie erreichen? Menschen Angst einzujagen? Natürlich haben wir ein Bewusstsein für Gefahr entwickelt. Aber hält uns das davon ab, nach draußen zu gehen und eine gute Zeit zu haben, zu leben? Nein. Ich weiß nicht, was sie erreichen wollten, aber sie haben es nicht geschafft, uns aus dem Leben zu reißen."
Was kann die Gesellschaft aus Ihren Erfahrungen lernen?Marine Vincent: "Meine Message ist, dass wir uns nicht unterkriegen lassen dürfen. Ich denke, mit Hilfe und jeder Menge Gespräche können wir darüber hinwegkommen. Dass wir die Angst in etwas Stärkeres umwandeln können. Und weiterhin ein gutes, glückliches Leben leben. Ich hoffe wirklich, dass ich anderen Terroropfern helfen kann."
Marine lebt seit 13 Jahren mit Mann und Tochter in London, wo sie eine Apotheke betreibt. Nach dem Anschlag konnte sie sechs Monate lang nicht arbeiten. Sie sieht sich als Kriegsopfer: "Das war ein Anschlag auf uns alle, auf unsere Werte und auf die Demokratie."