Die Amerikaner haben ein kompliziertes Verhältnis zur Abtreibung. Rund zwei Drittel aller US-Bürger unterstützen das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch, doch gleichzeitig befürworten auch 48 Prozent mehr oder weniger drastische Einschränkungen, etwa bei der Zulassung bestimmter Ärzte. Seit Jahrzehnten tobt deshalb ein Kulturkampf, und die sogenannte Pro-Life-Bewegung, die für die Verschärfung der Abtreibungsgesetze trommelt, kann in letzter Zeit deutliche Erfolge verbuchen. Besonders spektakulär hat nun Texas das Abtreibungsrechte verschärft – und zwar so drastisch, dass der liberale Teil der USA (wieder) laut aufbegehrt.
Portland mit Anti-Texas-Beschluss
Die Stadt Portland in Oregon, Inbegriff des linksalternativen Lebensstils, plant nun per Gesetz den Erwerb und die Einfuhr von Waren und Dienstleistungen aus Texas zu untersagen. Das will der Stadtrat aus Protest gegen Schwangerschaftsabbbruchregeln am Mittwoch in einer "Notfallresolution" beschließen. Zudem soll es auch Angestellten der Stadt untersagt werden, nach Texas zu reisen.
"Der Stadtrat von Portland steht vereint hinter dem Glauben, dass alle Menschen das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob und wie sie eine Schwangerschaft austragen. Die damit verbundenen komplexen wie schwierigen Entscheidungen, sollen sie abhängig von ihren individuellen Umständen treffen dürfen", heißt es in einer Mitteilung.
Die seit Ende August geltende "Herzschlag-Gesetz" genannte Regelung ist das bislang strengste Abtreibungsgesetz in den USA. Es verbietet Abbrüche ab dem Zeitpunkt, zu dem der Herzschlag des Fötus festgestellt werden kann, also etwa ab der sechsten Schwangerschaftswoche. Viele Frauen wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie schwanger sind. Es kennt auch keine Ausnahmen etwa bei einer Vergewaltigung.
Außergewöhnlich an der texanischen Regelung ist auch, dass sie Privatpersonen ermöglicht, zivilrechtlich gegen jene vorzugehen, die einer Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch helfen. Damit könnte es Klagen gegen eine Reihe von Personen geben – etwa gegen jemanden, der eine Betroffene zu einem Abtreibungstermin fährt, gegen Eltern, die für eine Abtreibung zahlen oder Beschäftigte des Gesundheitswesens.
Einen Eilantrag gegen das texanische Gesetz wurde zuletzt vom konservativ dominierten Obersten Gerichtshof der USA abgelehnt – aus prozeduralen Gründen. Die Richter sagten ausdrücklich, dass es sich nicht um ein Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des umstrittenen Gesetzes handele. Wann das fallen wird, ist noch unklar. Auch andere konservative Staaten, darunter Alabama, Ohio und Mississippi, haben restriktive Abtreibungsgesetze verabschiedet, die aber oft aus formalen Gründen nicht in Kraft sind. Sie alle warten darauf, dass die Richter in Washington zu einer Grundsatzentscheidung kommen.
Kippt Oberstes Gericht das Grundsatzurteil?
Grundlage für die derzeit geltenden Regeln ist das Urteil im Fall Roe v. Wade aus dem Jahre 1973. Die "Pro Life"-Bewegung versucht die Entscheidung von damals höchstrichterlich zu kippen, ist damit aber bislang immer gescheitert. Während der Amtszeit von Donald Trump hat sich die Zusammensetzung des Supreme Courts jedoch zugunsten der Konservativen verschoben. Der Ex-US-Präsident hatte gleich drei neue Richter an den Gerichtshof berufen, allesamt keine Liberalen. Abtreibungsgegner hoffen darauf, dass die neue Richter-Mehrheit die Schwangerschaftsabbrüche entweder verbietet oder zumindest einschränkt – das nächste Urteil dazu steht im Herbst an.
Genau vor dieser Entscheidung fürchten sich die "Pro-Choice"-Anhänger, also die Befürworter der Abtreibung. Angesichts der neuen Gesetze in Texas protestieren erneut viele US-Stars: "Wir müssen für die reproduktive Freiheit aller kämpfen", schrieb die Schauspielerin Eva Longoria Baston auf Twitter. "Ich stehe an der Seite der Frauen in Texas, die das verfassungsmäßige Recht haben, Entscheidungen über ihre Gesundheit und ihren eigenen Körper zu treffen", so Oscar-Preisträgerin Reese Witherspoon. Longoria, bekannt aus der Serie Desperate Housewives, bezeichnete das neue Gesetz als "extrem". Frauen sollten selbst Entscheidungen über ihre Gesundheit und ihre Zukunft treffen können. "Dieses Verbot wird eine Blaupause für Verbote überall in den USA sein", warnte die Sängerin Pink.
Auch erste Unternehmen gehen auf Distanz zu den Abtreibungsgegnern. So muss sich eine Website, auf der Schwangerschaftsabbrüche an den Pranger gestellt werden können, einen neuen Anbieter suchen. Der Internet-Provider GoDaddy teilte mit, die Betreiber von prolifewhistleblower.com seien informiert worden, dass sie gegen die Nutzungsbedingungen verstießen. Der von der Anti-Abtreibungsgruppe "Right to Life" eingerichtete Internetauftritt bekam demnach 24 Stunden Zeit, den Provider zu wechseln. Kritiker der Abtreibungsgegner hatten dazu aufgerufen, die Website mit unsinnigen Hinweisen lahmzulegen.
Fahrdienst will Strafen übernehmen
Der Fahrdienst Lyft kritisierte in einem Blog, die neue Regelung drohe mit der Bestrafung von Fahrern, "die Menschen hinfahren, wo so hinmüssen". Um eventuelle Strafzahlungen ihrer Fahrer zu 100 Prozent abzudecken, werde Lyft einen Fonds einrichten. Uber-Chef Dara Khosroshahi lobte den Vorstoß von Lyft und kündigte an, dem Beispiel des Konkurrenten zu folgen.
Mittlerweile ist die Stimmung bereits so aufgeheizt, dass die Sicherheitsbehörden Angriffe auf Abtreibungskliniken befürchtet. US-Justizminister Merrick Garland hat deswegen angekündigt, mögliche Attacken konsequent zu ahnden. Die US-Bundesbehörden stünden zur Unterstützung bereit, wenn eine Klinik oder Praxis, die Abtreibungen anbiete, angegriffen werde, so Garland. Außerdem versicherte er, dass das Justizministerium intensiv alle Optionen prüfe, um gegen das Gesetz aus Texas anzugehen und die Verfassungsrechte von Frauen zu schützen.
Quellen: DPA, AFP, US News.com, Amnesty International, Fivethirtyeight.com, "The Hill"