Der 50-jährige Tony Blair, der seit sechs Jahren mit straffer Hand die Amtsgeschäfte in London führt, steht nach Ansicht von britischen Kommentatoren vor den "schwersten 24 Stunden seiner Amtszeit". Unruhige Studenten, eine rebellische Partei und die am Mittwoch anstehende Veröffentlichung einer richterlichen Untersuchung, dem Hutton-Bericht, zum Selbstmord des Waffenexperten David Kelly haben sich zu einem Cocktail zusammengebraut, "der das Schicksal dieser Regierung besiegeln könnte", schrieb der konservative "Daily Telegraph."
Er steht alleine da
Blair, wechselweise als aalglatter "Teflon-Tony" oder kontrollwütiger Chef von Partei und Regierung bezeichnet, steht im Kampf um seine Autorität und Integrität auffallend allein da. "Der Premierminister, der immer Meister über alles war, ist jetzt der Gnade Anderer ausgeliefert", kommentierte der "Evening Standard."
Einst wichtige Verbündete und engste Vertraute, wie sein langjähriger Freund und Pressemann Alastair Campbell, stehen Blair beim Kampf ums politische Überleben nicht mehr zur Seite. Angeschlagen vom monatelangen Streit um die Kelly-Affäre und den Irak-Krieg, gab Blair vor kurzem offen zu: "Es zeigen sich schon Ermüdungserscheinungen in diesem Job, wo einem tausend Leute vom frühen Morgen bis zur Nacht ständig ans Bein pinkeln."
Er glaubt immer noch an die Existenz von Massenvernichtungswaffen
Die jüngsten Nachrichten aus Washington dürften Blair nicht besser gestimmt haben. Sogar US-Außenminister Colin Powell zweifelte öffentlich daran, dass der Irak jemals Massenvernichtungswaffen gehabt habe. Nur Blair, so sagte sein schärfster Kritiker, der frühere Außenminister Robin Cook, scheine «als einziger Mensch auf der Welt» immer noch an die Existenz dieser Waffen zu glauben. Es sei traurig, dass ihm nun auch noch seine stärksten Verbündeten in den Rücken fielen. "Blair bekommt für seine standhafte Unterstützung von George W. Bush absolut nichts zurück", bemerkte Cook.
In dieser angeheizten Stimmung wittern Kritiker und Blair-Gegner die Chance, dem Premier einen schweren, vielleicht tödlichen politischen Schlag zu versetzen. "Es geht letztendlich um seine Glaubwürdigkeit", sagte der frühere Labour-Staatssekretär für Verteidigung, Peter Kilfoyle. Für den Labour-Veteran Tam Dalyell steht fest: "Das Unterhaus wurde in der Frage der Massenvernichtungswaffen belogen."
War Blair an der Freigabe von Kellys Namen direkt beteiltigt
Vor dem Hintergrund der Diskussion um Massenvernichtungswaffen und der Stichhaltigkeit der Gründe, die Blair für seine Beteiligung am Irak-Krieg gab, legt Lordrichter Brian Hutton am Mittwoch seinen Bericht vor. Vordergründig geht es dabei um die Aufklärung der Umstände, die den Waffenexperten David Kelly im Juli vergangenen Jahres zum Selbstmord trieben. Kelly soll Quelle für einen BBC-Bericht gewesen sein, in dem der Regierung vorgeworfen wurde, das Thema Massenvernichtungswaffen zur Rechtfertigung des Krieges "aufgebauscht zu haben."
In dem Urteil des Lordrichters liegt Dynamit: Zumindest zwischen den Zeilen, so hoffen die Kritiker, dürfte deutlich werden, ob und wie direkt Blair an der Freigabe des Namens von Kelly als Quelle für den BBC-Bericht beteiligt war. Dahinter aber stehe die viel wichtigere Frage, ob die Regierung unter Angaben einer "falschen Bedrohung" in den Irak-Krieg zog und dies dann zu vertuschen gesucht habe.