Turkmenistan Der Sonnengott und Führer ist tot

Er beherrschte ein bitterarmes Land, in dem Benzin spottbillig und Salz kostenlos ist: Sapurmat Atajewitsch Nijasow, genannt "Turkmenbashi". Nun ist der nach Kim Jong Il schillerndste Despot der Welt tot. Und es stellt sich die knifflige Frage der Nachfolge.

Am Morgen des 6. Oktober 1948 lässt ein Erdbeben der Stärke 7,3 Ashgabat erzittern. Nur Minuten später liegt fast die turkmenische Hauptstadt in Schutt und Trümmern. Zweidrittel der Einwohner sterben. Mit letzter Kraft schiebt eine Frau ihren achtjährigen Sohn durch einen schmalen Spalt aus den Resten ihres Hauses. Dann stirbt auch sie. Der Junge überlebt als Einziger seiner Familie. Verletzt. Verzweifelt. Traumatisiert.

Niemand weiß, wie lange so ein Trauma hält. Vielleicht wird man es nie ganz los. Vielleicht erklärt es zumindest im Ansatz den bizarren Lebenswandel, den der Junge später pflegen wird. Als Entschuldigung für 15 Jahre Diktatur taugt es freilich nicht.

Turkmenistan im Jahre 2006. 1,1 Cent - soviel kostet umgerechnet der Liter Benzin im Erdgas reichen Land. Zwei Euro der Flug quer durch die ehemalige zentralasiatische Sowjetrepublik. Und Salz gibt es gratis. Dann wäre da noch der künstliche See, der mitten in der Karalkum-Wüste glitzert. Und Ashgabat! Überall Prunkbauten und Wolkenkratzer, um der Hauptstadt ein modernes Antlitz zu verpassen. Dass viele dieser Bauten vollkommen nutzlos in den Himmel ragen, bis heute ohne Mieter sind und vielfach ohne Strom und Wasser angeschlossen sind – was soll's.

"Wir zahlen bar", pflegte der Regent zu sagen und verwies nur zu gern auf die gigantische Ringautobahn, die zumindest schon fertig geplant ist. Schließlich sollte niemand sagen können, Turkmenbashi, der "große Führer aller Turkmenen", bürgerlich Saparmurat Atajewitsch Nijasew - nebenher turkmenischer Präsident auf Lebenszeit kümmert sich nicht um sein Volk. Den Autobahnbau wird Turkmenbashi nun nicht mehr erleben, heute Morgen ist der Despot im Alter von 66 Jahren an einem Herzleiden gestorben. 58 Jahre nach dem großen Beben.

Ungekrönter Weltmeister in Sachen Personenkult

Damit endet die Karriere eines Mannes, der in den letzten Jahren ein Regime anführte, das den Vergleich mit Kim Jong Ills Nordkorea nicht zu scheuen brauchte. Vor allem in der Disziplin "anachronistischer Personenkult" brachte es Nijasow zum ungekrönten Weltmeister.

Turkmenbahsi - überall und immer. Von tausenden Porträts blickt er streng auf seine Untertanen herab. Als tausendfache Statue weist er ihnen den Weg. Im Stadtzentrum von Ashgabat steht die wahrscheinlich größte - auf der Spitze einer raketengleichen hochhaushohen Skulptur, dem "Bogen der Neutralität". Unten fließt der spärliche Verkehr hindurch, oben dreht sich Turkmenbashi mit dem Sonnenstand. Manche meinen es sei umgekehrt.

Sogar ein zweibändiges Buch hat Turkmenbashi seinen Untertanen hinterlassen: die Ruhnama, das "Buch der Seele". Darin verkündet er nebst allerlei Philosophischem, nicht nur seine eigene Version der ruhmreichen Geschichte Turkmenistans, er erteilt seinem Volk auch wertvolle Tipps für das Leben an sich: "Der echte Turkmene muss auf seine Kleidung achten, muss sich angemessen schmücken." Auch soll er sich "nicht gierig auf das Essen stürzen."

Um sicher zu gehen, dass jeder Bürger von diesen Weisheiten Kenntnis erlangt, hatte Nijasow das Buch zur Pflichtlektüre erhoben. Für Schüler ist es alltäglicher Unterrichtsstoff (andere Bücher gibt eh es kaum, Bibliotheken sind geschlossen). Erwachsene sind angehalten, es zwecks Erbauung jeden Samstag zur Hand zur nehmen. Pardon, jeden "Ruhk Gun", den "Tag des Geistes". Schließlich hat der Turkmenbashi nicht nur jedem Monat, sondern auch jedem Wochentag einen neuen Namen verliehen. So heißt der Mittwoch "Hosh Gun", der "gute Tag", der Monat April "Gurbansoltaneje", benannt nach seiner Mutter. Und der Januar? Richtig, Turkmenbashi. Wie übrigens gleichnamige Stadt, diverse Schulen, Flughäfen und ein Meteorit. Doch das nur am Rande. Die Lektüre der Ruhnama war keineswegs umsonst. Bisweilen erwies sie sich als durchaus nützlich. So gehörte das Zitieren bestimmter Textstellen selbst bei der Führerscheinprüfung zum Rahmen des Normalen.

Lesungen der Ruhnama in Endlosschleife

Da hilft nur büffeln. Zur Sicherheit strahlt das staatliche Fernsehen in stundenlangen Endlosschleifen Lesungen der Ruhnama aus - unterbrochen nur von elegischen Beiträgen über die schöne Heimat oder "Best-of"-Zusammenschnitten der letzten Militärparade. Seit heute morgen wird mit schwarzem Trauerrand gesendet. Im ganzen Land flattern Flaggen auf Halbmast. Die 23 Regierungszeitungen sind nicht erschienen. Die öffentlichen Neujahrsfeiern hat die Regierung ausgesetzt.

Es war vermutlich die erste Entscheidung dieser Regierung, die sie ganz alleine treffen durfte. Bislang beliebte der Turkmenbashi selbst Angelegenheiten minderer Schwere höchstpersönlich zu entscheiden. Von weit reichenden Einschnitten ganz zu schweigen. Vor Jahren schon hat er das Kino verboten, Oper, Theater und Zirkus gleich mit.

Wie wird so einer denn Präsident? Ausgerechnet Gorbatschow hatte ihn 1986 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Turkmenistans gemacht, holte ihn damit sogar ins Politbüro der KPdSU, dem engsten Führungszirkel des großen Sowjetreiches. Nachdem Jelzin den zentralasiatischen Teilrepubliken rüde mitteilen ließ, er wolle mit ihnen nichts mehr zu tun haben, erlangte Turkmenistan die Unabhängigkeit – und Nijasow das Amt des Präsidenten. Und dabei sollte es bleiben.

Armes, reiches Land

Obwohl Turkmenistan über etwa fünf Prozent der weltweiten Erdgasreserven verfügt und nach Russland zweitgrößter Erdgasproduzent in der GUS ist, zählt es zu den ärmsten Ländern der einstigen Sowjetunion. Von den enormen Gasvorkommen des Landes profitiert nur eine kleine Elite. Opposition? Fehlanzeige! Spätestens seit dem vermutlich fingierten Attentat auf Nijasow, wurde sie so massiv verfolgt, dass es heute niemanden mehr gibt, der sich öffentlich beklagen würde. Ein weit verzweigtes Spitzel- und Überwachungssystem sorgt auch dann für Ruhe, wenn Turkmenbashi einfällt, das Rentensystem praktisch abzuschaffen oder Krankenhäuser zu schließen.

Dass Nijasow auch im persönlichen Umgang kein ganz leichter Zeitgenosse ist, musste der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Visite Anfang November diesen Jahres erleben. Es war eines der schwierigsten Gespräche seiner Amtszeit, hieß es nach dem, nun ja, Gespräch aus Delegationskreisen.

Und Steinmeier selbst sagte später in einem Interview: "Auch ich hätte als Außenminister lieber nur mit lauter Schweizern und Luxemburgs zu tun!" Nijasow empfing im kurzen Hemd. Auf der Krawatte des Diktators prangte ein Mistkäfer-großer Diamant, am Handgelenk eine Brillant besetzte Uhr der Edelmarke "Vacheron & Constantin" - und in den ersten 30 Minuten des dreieinhalb Stunden langen Gesprächs konnte Steinmeier kaum mehr als "Guten Tag" sagen. Dafür sprangen die turkmenischen Minister, kaum dass der Turkmenbashi ihr Ressort erwähnte oder gar ihren Namen, der Reihe nach von ihren Stühlen auf wie Kasper aus der Kiste. Und blieben so lange kerzengerade stehen, bis Nijasow ihnen per beiläufigem Wink mit der Hand erlaubte, sich wieder zu setzen.

Rivalen wurden, wie es sich gehört, aus dem Weg geräumt

Speichellecker, Handküsser und Diener - Rivalen wurden im Laufe der Jahre, so gehört es sich für einen anständigen Despoten, durch regelmäßige Säuberungen entsorgt; Karrieren als Minister oder Vizepremier endeten zuverlässig im Gefängnis. Wie ein Sonnengott beherrschte der Turkmenbashi sein turkmenisches Reich. Das völlige Fehlen eines Kronprinzen oder Auserwählten macht die Nachfolge nun zu einer brisanten Frage. "Wir hoffen, dass die Region Zentralasien stabil bleibt", sagte Steinmeier, der heute bei seinem russischen Amtskollegen Lawrow besucht, sorgenvollen Tonfalls. "Wir hoffen, dass die Machtübergabe friedlich und verfassungsgemäß sein wird." Man hofft. Vorerst hat Parlamentsvorsitzende Katajew die Amtsgeschäfte übernommen. Doch ohne Diadochen-Kämpfe wird sich die Nachfolgefrage endgültig kaum klären lassen.

"Willkommen im goldenen Zeitalter", steht in riesigen Lettern am Flughafenterminal von Ashgabat. Bis es soweit ist, muss die Turkmenbashi-Statue im Zentrum der Stadt noch ein paar Runden drehen.

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