Noch steht Fadil Kryeziu jeden Morgen am Rand einer schmutzigen Straße im Süden von Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Für fünf Euro am Tag bietet er seine Arbeitskraft an. Kryeziu wartet auf Auftraggeber, vor allem aber wartet er auf den Tag, an dem sich das Kosovo endgültig von Serbien lossagt. "Nach der Unabhängigkeit wird es uns besser gehen", sagt der 35-jährige Tagelöhner. "Dann gibt es Arbeit."
Unabhängigkeit ist zurzeit das Zauberwort im Kosovo, eine scheinbare Garantie für eine bessere Zukunft. Am Sonntag, den 17. Februar soll es soweit sein. Kryeziu sagt, er wolle mit seinem zukünftigen Einkommen seinen drei Kindern eine gute Bildung ermöglichen. "Für sie wird das Leben wie im Westen sein", glaubt er.
Bei der Schwärmerei geraten die harten Realitäten in der mehrheitlich von Albanern bewohnten südserbischen Provinz allerdings in Vergessenheit. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo beträgt etwa 45 Prozent, unter jungen Leuten sind sogar 70 Prozent ohne Arbeit. Rund 37 Prozent der zwei Millionen Einwohner leben laut Weltbank von weniger als 1,50 Euro am Tag.
Für die Studentin Albana Hedeni bedeutet die Unabhängigkeit trotzdem den "Schüssel, der das Kosovo zur Welt öffnet". Die 20-Jährige stammt aus Drenica, einem armen Dorf nordwestlich von Pristina. Ihre Eltern schicken ihr jeden Monat mehr als die Hälfte des Familieneinkommens von 180 Euro, damit sie die Universität besuchen kann. Ihre Hoffnung ist, dass sie ihren Eltern bald das zurückgeben kann, was diese für ihre Ausbildung geopfert haben. In Pristina wartet die Bevölkerung darauf, die Loslösung von Serbien mit Feuerwerk und Konzerten feiern zu können. Auch die ein oder anderen Freudenschüsse werden sich vermutlich nicht vermeiden lassen. "Alles ist so gut wie vorbereitet", sagt der Kulturbeauftragte von Pristina, Mustafa Halili. Etwa 200.000 Menschen sollen zu der Feier in der Hauptstadt kommen.
Sondergesandter für das Kosovo
Ein erfahrener Krisenmanager wird die ersten Schritte des neuen Zwergstaats begleiten. Der Niederländer Pieter Feith wird der neue EU-Sondergesandte der bisher zu Serbien gehörenden Provinz. Der 63-Jährige soll die Unabhängigkeit für die EU und die internationale Gemeinschaft überwachen und Unruhen zwischen Kosovo-Albanern und Serben verhindern. Zugleich soll er in Pristina die Internationale Verwaltungsbehörde mit 300 Mitarbeitern leiten. In dieser Doppelfunktion hat Feith Kompetenzen, die in den Augen von Kritikern denen eines Kolonialgouverneurs gleichen. Der Diplomat kann Beschlüsse der Führung kassieren, von denen er annimmt, sie schadeten der Stabilität. Er kann Ermittlungen wegen Korruption oder organisierter Kriminalität anstoßen. Notfalls kann er sogar hochrangige Kosovo-Beamte absetzen.
Ob die Partystimmung lange anhält ist allerdings fraglich, denn das Risiko, enttäuscht zu werden, ist groß. "Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Dinge anders laufen werden. Es gibt chronische Probleme mit der Energieversorgung, keine Bahnhöfe, verfallene Straßen, kaum Industrie und Korruption auf allen Verwaltungsebenen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Ibrahim Rexhepi. "Das wird seine Zeit dauern". Ein EU-Diplomat sieht die Gefahr, dass Unzufriedene in ihrem Ärger auf die Straße gehen, sollten die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden. "Seit Jahren sagen die politischen Führer immer wieder, dass nach der Unabhängigkeit alles besser werden wird", sagt er. Auch wenn die Europäische Union die ersten Schritte in die Unabhängigkeit mit hunderten Millionen Euro unterstützen wird - kurzfristig werden die Verbesserungen im Alltag kaum spürbar sein.
Der Erfolg hängt vor allem davon ab, ob das Kosovo stabile politische Institutionen hervorbringen kann. Erst dann werden Investoren ins Land kommen. Die Studentin Shpresim Lumi ist davon fest überzeugt: "Die politischen Führer habe so lange für das Ideal des Kosovo gekämpft. Da werden sie nun nicht alles vermasseln."
Allerdings gibt es vor allem von Seiten Serbiens und Russlands Widerstand gegen die Autonomiebestrebungen des kleinen Landes. Auch innerhalb des Kosovo wird mit Unruhen gerechnet. Die dortige EU-Polizeimission will deshalb anstelle der ursprünglich vorgesehenen 1800 jetzt 2200 Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Zollbeamte zum Aufbau von Justiz und Verwaltung in das Kosovo schicken.