Er schien wie ausgewechselt, wie er da seinen Gegner äußerlich kühl, aber innerlich voller Leidenschaft anging, wie er souverän lächelte, wie er schlagfertig konterte. Als hätte es die Wochen zuvor nicht gegeben, die unsägliche Zeit, in der eine unglückliche Formulierung die andere jagte, kein politisches Profil sichtbar war und die Umfragewerte von Tag zu Tag sanken, genauso wie Zahl der positiven Kommentare in den Zeitungen.
Beim Fernsehduell gegen Barack Obama am Mittwochabend aber wirkte Mitt Romney, der angezählte Herausforderer, wie neu geboren. Und man fragte sich: Woher hatte er plötzlich diese Energie? Wie hat er sich aus dem Delirium der letzten Wochen befreit? Was machte ihn so kämpferisch?
Harte Schule des Erfolgs
Ein Teil der Antwort findet sich in Mitt Romneys Religion. Der Republikaner ist Mormone. Und das Leben als Mormone ist eine der härtesten Karriereschulen der Welt. Sie lehrt vor allem eines: Selbstdisziplin und Hartnäckigkeit.
Der stern hat berühmte Menschen getroffen, die wie Romney der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" angehören, wie die Organisation der Mormonen offiziell heißt. In der aktuellen Ausgabe erzählen sie, wie ihnen ihr Glaube geholfen hat, im Leben erfolgreich zu sein und auch herbe Niederlagen zu verschmerzen.
"Wir sind eine erfolgsorientierte Kirche", sagt zum Beispiel Bill Marriott, der 80-jährige Hotel-Mogul, beim Interview in der Unternehmenszentrale bei Washington. "Wir wollen hier auf Erden erfolgreich sein, in unserem Familienleben und im Dienst für die Kirche. Das schlägt sich dann auch nieder in Erfolg im Beruf." Marriott erinnert sich, dass ihn vor allem die Zeit bei den mormonischen Pfadfindern abgehärtet hat. "Ich musste 50 Nächte im Freien verbringen, um ein Abzeichen zu bekommen. Ich habe gelernt, viel auszuhalten und hartnäckig an mein Ziel zu glauben."
Die vollständigen Interviews
mit Bill Marriott und anderen berühmten Mormonen, finden sie auch als Videos im neuen stern-eMag.
Lesen Sie im neuen stern: Die Macht der Mormonen - welchen Einfluss die Glaubensgemeinschaft auf die amerikanische Gesellschaft hat.
"Die Botschaft lautet: Tu was!"
Der Basketballprofi Mark Madsen, der neun Jahre lang in der NBA für die Los Angeles Lakers spielte, glaubt ebenfalls, dass ihn nach sportlichen Niederlagen vor allem seine Religion motiviert hat, weiterzukämpfen. "Für mich ist eine der wichtigsten Botschaften unserer Schriften: Sei aktiv! Tu was!, so Madsen im Interview. "Ich war bei den Lakers nicht der beste Werfer, aber mein Trainer sagte: Du bringst die Energie ins Team. Auch deshalb, weil ich immer versucht habe, genug Schlaf zu bekommen, und keinen Tropfen Alkohol getrunken habe, wie es die Regel bei uns Mormonen ist. Energie zu verbreiten, das ist meine Fähigkeit, mein Geschenk von Gott."
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Zwei Jahre müssen die Mormonen auf Mission ins Ausland. "Es ist wie ein Bootcamp bei der Armee", sagt der Vorstand eines weltbekannten Werkzeugherstellers.
Die härteste Zeit erwartet einen Mormonen, wenn ihn seine Kirche im Alter von 19 oder 20 Jahren auf Mission schickt, in ein Land auf der Welt, das er sich nicht aussuchen darf. Zwei Jahre lang geht er dann von Tür zu Tür und versucht, die Menschen von seinem Glauben zu überzeugen.
Ein religiöses Bootcamp
"Meine Arbeit als Missionar hat mein Leben verändert. Es ist wie ein Bootcamp bei der Armee, aber nicht für zwei Monate, sondern für zwei Jahre", sagt Nolan Archibald, der langjährige Chef und heutige Verwaltungsratsvorsitzende des Werkzeugherstellers Stanley Black und Decker, im Interview mit dem stern in seiner Sommerresidenz an der Laguna Beach bei Los Angeles. "Du lernst, ausdauernd und belastbar zu werden, was dir später hilft." Seine Frau Margaret sagt, die Kirche lehre vor allem, Opfer zu bringen und sich in Selbstdisziplin zu üben.
So registriert Gary Cornia, der Dekan der Marriott School of Management an der Brigham Young Universität in Utah, der größten mormonischen Hochschule der USA, dass die "jungen Menschen schon mit einer gewissen Reife und Lebensklugheit zu uns kommen." Beim ACT, einer Art Intelligenztest für College-Studenten, zählen die Probanden deshalb regelmäßig zu den besten fünf Prozent. Die Investmentbank Goldman Sachs rekrutiert ihre meisten Berufsanfänger unter den Absolventen von Harvard und der Marriott School of Management. Die Wall Street ist das Ziel vieler ihrer Studenten. Mormonen sehen materiellen Erfolg durchaus vereinbar mit ihren Glaubensgrundsätzen.
Manchmal kommen auch Mormonen vom Weg ab
Doch nicht alle halten sich auf Dauer an das starre und kompromisslose Regelwerk, das auch den Genuss von Kaffee und schwarzem Tee oder Sex vor der Ehe untersagt. Lew Cramer, einst Mitarbeiter der Regierung von Ronald Reagan, heute Leiter des World Trade Centers in Salt Lake City, und seine Frau Barbara, Sängerin des großen Mormonenchors der Stadt, wissen es von ihren eigenen Kindern. "Einer unserer Söhne begann zu trinken, er wollte wie ein normaler Teenager sein", erzählen sie. Das habe sie zutiefst geschmerzt. "Irgendwann merkte er: Ich bin nicht glücklich, vor allem, weil er es vor uns verbarg: Er hat sich entschieden, damit aufzuhören und zu seinem Glauben zurückzukehren. Wir bewundern ihn sehr dafür."
Auch die Erwartung der Mormonen an ihre jungen Mitglieder, recht früh zu heiraten und viele Kinder zu bekommen, kann und will nicht jeder Mormone erfüllen. "Es war und ist schmerzhaft, keine Familie zu haben, ja nicht mal einen Ehemann", sagt Sheri Dew in ihrem Büro in Salt Lake City. "Ich bete jeden Tag dafür, dass der richtige Mann endlich in mein Leben tritt."
Pragmatisch, was Erfolg und Karriere angeht
Doch obwohl sie als alleinstehende Frau ein eher ungewöhnliches Leben für eine Mormonin führt, hat das ihrer Karriere keinen Abbruch getan. Als Geschäftsführerin des Deseret Book Verlages mit 60 Buchläden ist sie die erste Frau, die zur Präsidentin eines kircheneigenen Unternehmens berufen wurde. Was Erfolg und Karriere anbelangt, denken Mormonen eben sehr pragmatisch. Auch das hat Mitt Romney für sich verinnerlicht.