US-Strategie "Fließender Sieg" statt Kapitulation

Dass es jemals zu einer förmlichen Aufgabe des Regimes in Bagdad kommen könnte, gilt angesichts des bisherigen Kriegsverlaufs als unwahrscheinlich. Die USA streben nun einen "fließenden" Sieg an und nicht mehr eine Kapitulation des Gegners.

Die USA haben ihre Strategie für das "Endspiel" im Irak-Krieg festgezurrt. Wie verschiedene Regierungsbeamte andeuten, streben sie einen "fließenden" Sieg an und nicht mehr eine offizielle Kapitulation des Gegners, die das Ende des militärischen Konflikts konkret für alle Welt markieren würde. Dass es jemals zu einer solchen förmlichen Aufgabe kommen könnte, gilt angesichts des bisherigen Kriegsverlaufs ohne die erhofften Massenfahnenfluchten als zunehmend unwahrscheinlich.

Hauptkriterien für die Siegeserklärung, so heißt es, seien die Kontrolle über "wesentliche" Teile des Landes, aber nicht zwangsläufig die über Bagdad, und die weitgehende Niederschlagung des Widerstandes gegen die Alliierten. Was Bagdad betreffe, müsse zumindest sicher gestellt sein, "dass noch vorhandene Überbleibsel des Regimes keine Macht mehr ausüben", wie ein Beamter es formulierte.

"Nebenrolle" für Saddam im "Endspiel"-Szenario

In das "Endspiel"-Szenario fügen sich auch Äußerungen von gleich drei Regierungsstellen auf einmal zum Schicksal von Saddam Hussein. Sowohl Außenminister Colin Powell als auch die Sprecher des Weißen Hauses und des Pentagon erklärten am Freitag, dass es im Prinzip wenig wichtig sei, ob der irakische Präsident tot oder am Leben sei. Das Entscheidende werde am Ende sein, dass er und seine Gefolgsleute nicht mehr die Kontrolle über ihr Land ausübten. Das bedeutet nach der Interpretation von Strategie-Experten: Auch wenn der Verbleib von Saddam ungeklärt bleiben sollte, würde das die USA nicht davon abhalten, zu einem bestimmten Zeitpunkt den Sieg zu erklären.

Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, hängt den Regierungsbeamten zufolge wesentlich von der Einschätzung des US-Oberbefehlshabers im Irak-Krieg, Tommy Franks, ab. Die letzte Entscheidung liege aber bei Präsident George W. Bush. Nach Angaben der Beamten haben Planer Monate lang an einer Definition eines Sieges in diesem Kriegsfall gearbeitet - "an der Festlegung, wie die Situation aussehen muss, wenn der Sieg da ist", wie die "Washington Post" einen an den Beratungen Beteiligten zitierte.

Wird über Details der "Endspiel"-Planung Stillschweigen bewahrt, so gibt es jedoch Hinweise auf die "grobe Linie". So sagt ein Beamter, die USA würden in den nächsten Tagen nicht primär auf die "Eroberung und Besetzung" von Territorium abheben, sondern darauf, "die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass ihr Regime nicht mehr am Ruder ist". Das sei der wesentliche Punkt "und nicht die Geographie".

Direkte Straßenkämpfe sollen vermieden werden

Experten sagen in der Praxis mehrere Schritte voraus. Zunächst gehe es darum, weitere Regionen im Irak zu sichern und den Widerstand am Rande von Bagdad weitgehend auszuschalten. Die Hauptstadt könnte dann durch Abschneiden aller Zufahrtstraßen isoliert werden. Die meisten Militäranalytiker sind überzeugt davon, dass die USA alles daran setzen werden, direkte Straßenkämpfe zu vermeiden. Stattdessen werde es Einzelschläge gegen ausgewählte Ziele in der Stadt geben. "Stück für Stück wird sozusagen der Saft des Regimes ausgequetscht", prophezeit der Irak-Experte und frühere Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA, Kenneth Pollack.

Bereits in dieser Phase könnten die USA damit beginnen, eine Übergangsregierung zu etablieren - möglicherweise in einem Ort in der Nähe von Bagdad. Die Stadt selbst sei "fast unbedeutend", sobald sie vom Rest des Landes abgeschnitten sei, formulierte es unlängst Generalstabschef Richard Myers. Aber nicht alle Militärexperten stimmen da zu. Viele meinen, dass ein "wahrer" Sieg die Kontrolle über Bagdad voraussetze. Dazu gehört James Bodner, ein hoher Pentagon-Beamter zu Zeiten von Präsident Bill Clinton: "Solange wir nicht Bagdad eingenommen und die meisten Elemente des Regimes entfernt haben, ist unsere Aufgabe nicht beendet."

DPA
Gabriele Chwallek