Es war Sommer, es war heiß, und der Weg war weit. Gerade war John F. Kerry zum Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei gekürt worden. Jetzt, Ende Juli, begab er sich mit seiner Familie auf eine Werbe-Tour: 3500 Meilen mit Bus und Zug quer durch Amerika. Doch auch der kitschig-poetische Titel "Von See zu glänzender See" konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die PR-Aktion offenbar unter einem schlechten Stern stand.
Erstaunt notierten die Reporter des Magazins Newsweek, dass vor allem Kerrys Frau Teresa immer unglücklicher wirkte: "Auf Veranstaltungen drehte sie dem Publikum einfach den Rücken zu. Selbst abends trug sie dunkle Sonnenbrillen und einen Hut. Sie beschwerte sich über Migräne und brennende Augen. Andauernd ließ sie ihren Mann kleine Besorgungen machen, ließ ihn Wasserflaschen holen oder Notizzettel an Referenten weiterreichen." Noch schlimmer aber wurde es, wenn die Millionenerbin Teresa Heinz Kerry auf die Bühne trat, um die obligatorische Rede zu Ehren ihres Mannes zu halten. "Sie redete über alles Mögliche, über ihre verstorbene Schwester ebenso wie über Kleidung. Sie hatte die außergewöhnliche Begabung, eine begeisterte Menge zu ernüchtern vollkommen zum Schweigen zu bringen."
Die Newsweek-Leute blieben fair: Über Monate hatten sie den Kandidaten und seinen Tross während des Wahlkampfes begleitet. Doch die süffisanten Enthüllungen veröffentlichten sie erst nach der Wahl. Und sie wären auch nicht weiter der Rede wert, würden sie nicht eine Erklärung dafür liefern, warum John F. Kerry die Wahl haushoch verlor.
Gerüchte über Ehekrach
Während der Sommerreise im Juli, auf der sich Kerry dem amerikanischen Volk als naturverbundener Patriot präsentieren wollte, machten bald Gerüchte die Runde: das Ehepaar Kerry habe Krach. Man habe sogar in getrennten Zimmern genächtigt (was umgehend heftig dementiert wurde). Die Gattin bringe die Sicherheitsleute zur Weißglut mit ihren ewigen Verspätungen.
Sie wolle nach Hause, sagte sie immer wieder. So brach das Szenario "Glückliche Familie macht Urlaub" in sich zusammen. Während John F. Kerry am Rande des Grand Canyon stand und scheinbar interessiert den kreisenden Kondoren hinterher schaute, jammerte Teresa Heinz Kerry über Migräne. Sie wolle nicht mehr weitergehen, klagte sie. Und was machten die mitreisenden Reporter? Sie fragten nicht nach Umweltschutz oder Liebe zur Natur - sie fragten nach dem Krieg im Irak. Wie würde Kerry heute entscheiden, fragten sie. Würde er immer noch für den Militäreinsatz stimmen? War es die Hitze? War es der Ärger mit Teresa? War es gar Überzeugung? Jedenfalls antwortete Kerry: "Yes." Auch heute würde er dem Präsidenten wieder die Autorität für einen Militäreinsatz erteilen. Da war er wieder, Kerry, der "Flip-Flopper", der Unentschlossene, der Schwankende. Dieser Satz würde gut drei Monate später zu seiner Wahlniederlage beitragen.
Genannt: "Die Diva"
Das Problem mit seiner selbstbewussten und offenbar ebenso eigensinnigen wie verwöhnten Frau ("die Diva") konnten Kerrys Wahlkampfmanager lösen: Sie strichen Teresa Kerry vom Wahlkampfplan und versuchten, sie von ihrem Mann möglichst fern zu halten. Sie deprimiere ihn, heiß es. Außerdem gebe sie ständig Ratschläge - doch leider nicht immer die besten.
Doch Kerrys Image-Problem bekamen seine Strategen letztlich nicht mehr in den Griff: zwar konnte Kerry während der nationalen TV-Debatten im Oktober gegen den ungeduldig-beleidigten Bush punkten, doch letztlich traute die Mehrheit der Wähler John F. Kerry nicht zu, das Land in den Zeiten des Krieges zu führen.
"Kerry hat wegen Kerry verloren"
So meinte ein frustrierter Demokrat neulich während einer Konferenz des angesehenen Washingtoner Brookings-Instituts: "John Kerry hat die Wahl letztlich wegen John Kerry verloren." Dabei schien es nach der Wahl zunächst, als habe die religiöse Rechte die Macht im ganzen Land übernommen. Vor allem Stimmen der Evangelikalen hätten Bush zum Sieg geführt, hieß es, und der wesentliche Grund für seinen Sieg seien die "moral values" gewesen - die moralischen Werte des "sauberen" Amerika - des Amerikas der Kirchgänger, Gewehrträger und Abtreibungsgegner.
Jetzt aber zeigen die Analysen ein differenzierteres Bild. Wichtiger als Werte waren den Wählern offenbar Sicherheit und der Kampf gegen den Terror. "Und in diesem Bereich trauten die Wähler Bush einfach mehr zu", sagt Andrew Kohut, Leiter des renommierten Wahlforschungsinstitutes PEW im Interview mit stern.de. "Seine Botschaft klang klarer, er schien entschlossener als Kerry. Bush hat einen enormen Wahlsieg davongetragen - bei allen Bevölkerungsgruppen, den konservativen ebenso wie den moderaten Wechselwählern."
Die Strategie der Konservativen ging auf
Sicherheit, Angst vor Terror und Führungsstärke des Mannes im Weißen Haus - genau darauf hatten die Republikaner unter dem obersten Wahlkampfstrategen Karl Rove gesetzt, dem "Architekten" des Sieges, so George Bush. Bis zu 1,4 Millionen Freiwillige waren im ganzen Land unterwegs, um möglichst viele Wähler auch zur Stimmabgabe zu bringen. Telefonaktionen, Internet-Aufrufe, Hausbesuche - all das war generalstabsmäßig organisiert. Dazu die Vorherrschaft des konservativen TV-Senders Fox: 21 Prozent der Wähler bekamen ihre Informationen über den Wahlkampf vor allem von Fox.
Vor allem in ländlichen sowie in den "ex-urbanen" Gebieten wurden die Wähler mobilisiert. Die Menschen in den kleineren Städten rings um die großen Ballungsgebiete, dort, wo die Welt noch ziemlich intakt ist. Dort, wo die Häuser kleiner werden, doch der Rasen im Vorgarten penibel geschnitten ist. Dort, wo die Menschen hart arbeiten, wo sie sich ihren kleinen Teil erobern vom großen amerikanischen Traum. Und den verkörpert der optimistisch-bodenständige Bush aus dem bibelfesten Süden allemal besser als der vornehm-langatmige Berufs-Senator aus dem liberalen Norden. Ken Mehlmann, Organisator des Bush-Wahlkampfes definiert die Wählergruppen so: "Wenn du einen Volvo fährst und Yoga machst, dann bist du wahrscheinlich ein Demokrat. Wenn du einen Lincoln oder einen BMW fährst und ein Gewehr zu Hause hast, dann wählst du George Bush."
Bush punktete auch bei moderaten Wählern
So sammelte Bush seine Stimmen - und zwar überproportional viele Neuwähler auch in Bundesstaaten, die bislang als demokratische Hochburgen galten. Dabei punktete der erzkonservative Präsident auch bei so genannten moderaten Wählern - auch bei denen, die etwa gegen ein Verbot der Abtreibung sind. Kerrys Strategen hingegen setzten vor allem auf die Städte. Dort, wie etwa in Cleveland erhielten sie zwar überraschend viele Stimmen - doch immer noch zu wenig, um etwa den wahlentscheidenden Bundesstaat Ohio zu gewinnen.
"Kerry versuchte sich, als jemand zu präsentieren, der das Land einigen würde", so der Politologe William Schneider vom konservativen "Think-Tank" American Enterprise Institute. "Er wusste zwar, die Amerikaner wollen einen Präsidenten, der versöhnt, und keinen, der spaltet. Aber für die Wähler war es schwer, in Kerry eben jenen Versöhner und Einiger zu sehen. Dazu war er ihnen einfach zu schwankend."
"Ein Aufständischer, der gewinnt"
Mit dieser Wahl habe er sich "politisches Kapital" erarbeitet, meinte Bush am Tag nach seinem Sieg: "Und ich habe vor, es auszugeben." Seine Agenda ist ebenso klar wie konservativ. Er hat seine Berater im Weißen Haus behalten, Getreue an die Spitze potentieller Unruheherde wie Außenministerium oder CIA gesetzt. "Bush hat über das Washingtoner Establishment gesiegt", frohlockt das konservative Wall Street Journal. "In diesem Sinne ist Bush ein Aufständischer. Und zwar ein Aufständischer, der gewinnt."
Bush kann seine konservative Revolution beenden
Und die Wähler? Erste Umfragen zeigen: Wirklich zufrieden sind sie eigentlich nicht mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik ihres Präsidenten. Und jetzt glauben sie auch: es war ein Fehler, in den Irak einzumarschieren. Amerika bleibt ein geteiltes Land. Vier Jahre haben die Demokraten Zeit, den Kandidaten zu finden, der es einigen kann. In diesen vier Jahren aber wird George W. Bush seine konservative Revolution beenden.
John F. Kerry wurde vor einigen Tagen bei einer Abstimmung im Senat gesichtet. Er scherzte, er lachte; er sah so aus, als habe er gute Laune. Über die Kopfschmerzen seiner Frau Teresa ist nichts weiter bekannt geworden.