Am Ende sieht es so aus, als habe der Bundeskanzler beim Präsidenten der Arbeitgeber einen Sinneswandel erzeugt. Vor der Rede von Friedrich Merz hatte Rainer Dulger noch gemahnt: "Deutschland braucht Sie jetzt, als Wachstumskanzler". In den Unternehmen packe man die Dinge anders an, als es die Koalition bislang getan hat: Man formuliere erst Bedingungen, dann fließe Geld. Daran müsse sich die Politik ein Beispiel nehmen, forderte Dulger – und stellte sich damit gegen die umstrittenen Rentenpläne der Regierung.
Nur rund 35 Minuten später, in denen der Kanzler zu den in einer Berliner Messehalle versammelten Arbeitgebern sprach, klingt deren Präsident ganz anders: "Vielen Dank für diese vertrauensbildenden Worte", sagt Dulger da. Kein ablehnendes Wort mehr zum Rentenpaket. Ja, was ist denn da passiert?
Für Friedrich Merz war es am Dienstag ein denkbar schwieriger Auftritt. Die Enttäuschung mit dem CDU-Kanzler, der eine Entfesselung der Wirtschaft versprach, ist bei vielen Arbeitgebern groß. Schließlich lässt der wirtschaftliche Aufschwung sechs Monate nach Antritt der Regierung weiter auf sich warten. Dass die Koalition nun ein teures Rentenpaket auf den Weg gebracht hat, das unter anderem eine Verlängerung der Haltelinie von 48 Prozent und die Ausweitung der Mütterrente vorsieht, stößt hier auf Unverständnis.
Den ganzen Tag über hat sich auf dem Arbeitgebertag diese Stimmung verfestigt. Man hat den Vorsitzenden der Jungen Union, Johannes Winkel, zum Interview geladen, der gemeinsam mit anderen jungen Bundestagsabgeordneten der Union den Widerstand gegen die von der eigenen Regierung auf den Weg gebrachten Rentenpläne anführt. Wegen der knappen Mehrheiten im Parlament sind Union und SPD auf die Stimmen der Widerständler angewiesen. Doch die Fronten sind verhärtet – und Winkel macht bei den Arbeitgebern klar, dass er an seinen Positionen festhält, nicht einen Zentimeter weicht.
Widerstand gegen Rentenpläne: JU-Chef badet in Zustimmung
Bei den Arbeitgebern kann er damit in Zustimmung förmlich baden. In der knappen Viertelstunde, in der er auf der Bühne Rede und Antwort steht, erhält er rund einmal pro Minute Applaus, und schafft damit den Rekord, der bis zum Ende der Veranstaltung hält. Man müsse in Deutschland anfangen, den demografischen Wandel ernst zu nehmen, sagt Winkel. Die Menge applaudiert.
Es brauche eher mehr Nachhaltigkeitsfaktoren, als weniger, sagt Winkel. Die Menge applaudiert.
Man müsse erst über Reformen sprechen, und erst dann verbindliche Kosten beschließen, sagt Winkel. Die Menge applaudiert.
Würden die 120 Milliarden Euro, die die verlängerte Haltelinie am Ende kosten soll, in dieser Legislatur fällig, würde Panik im politischen Berlin ausbrechen. Nur weil die Kosten in der nächsten Legislatur liegen, sagen wir, kein Problem, so Winkel. Die Menge applaudiert.
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Als der CDU-Politiker von der Bühne geht, verkündet es auch die Moderatorin noch quasi offiziell: "Wenn wir ein Applausmessgerät hier hätten, wäre das bislang der stärkste Applaus gewesen."
Gegensätzlich läuft der Auftritt der Bundesarbeitsministerin von der SPD ab. Als solche hat sie es auf einem Arbeitgebertag traditionell schwer, doch Bärbel Bas heizt die Missgunst förmlich an. Die Co-Parteivorsitzende verteidigt das Rentenpaket vehement, insbesondere die Haltelinie von 48 Prozent, deren Verlängerung die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hat. Von einer solchen profitierten alle Generationen, sagt Bas, und es gehe dabei nicht um Geschenke, sondern um "ein Grundversprechen unseres Sozialstaates", dass man nach einem langen Arbeitsleben ausreichend Sicherheit habe.
Als sie ausführt, dass die Haltelinie aus Steuermitteln bezahlt würde und deshalb die Beitragszahler nicht belastet würden, lacht der Saal. "Das ist überhaupt nicht lustig", erwidert Bas trotzig. Einige Minuten später sorgt sie für heftigen Aufruhr im Saal: Sie wisse, dass sie vielleicht mit Themen polarisiere, sagt Bas da. "Aber im Gegensatz zu Ihnen habe ich immer auch die andere Seite im Blick." Ob sie da was geraderücken wolle, fragt die Moderatorin im Anschluss. Das will Bas nicht unbedingt.
Kanzler verteidigt Rentenpaket
Das also ist die Stimmungslage, in der der Kanzler auftritt – der hier, genau wie seine Kabinettskollegin Bas, das Rentenpaket verteidigen will. Von dem sich hier im Saal alle einig sind, dass das so nicht kommen soll. Kurz vor dem Auftritt des Kanzlers werden die Zuhörer in dieser Sichtweise sogar noch von SPD-Urgestein Peer Steinbrück bestärkt. Der ehemalige Bundesfinanzminister beteuert auf der Bühne zwar, kein Öl ins Feuer gießen zu wollen. Aber fordert dann doch: Mütterrente abschaffen, Nachhaltigkeitsfaktor wieder einsetzen. Das bedeutet: kein Rentenpaket.
Der Kanzler aber bleibt dabei: Das Rentenpaket soll kommen. Doch dann gewinnt Merz den Saal allmählich. Vor allem scheint der Kanzler bei seiner Rede, in der er sich am Ende auch von seinem Manuskript entfernt, mit dem Aufruf zu überzeugen, die Ernsthaftigkeit der Lage Deutschlands insgesamt nicht zu verkennen. Man sei mit einer "brutalen Wirklichkeit" konfrontiert, so Merz – Krieg in Europa, autoritäre Systeme auf der Welt, ein aggressiv auftretendes China, amerikanische Zölle. "Wenn wir uns in dieser Welt behaupten wollen, geht es in diesen Tagen und Wochen und Monaten um mehr als 48 Prozent Haltelinie", sagt der Kanzler. "Wenn wir aus dem Blick verlieren, was jetzt auf dem Spiel steht, dann werden uns unsere Kinder und Enkelkinder bitterste Vorwürfe machen."
Bei der Rente konkret werde seine Regierung noch grundsätzliche Diskussionen führen. Aber jetzt habe man "nicht mehr und nicht weniger“ auf den Weg gebracht als im Koalitionsvertrag vereinbart. Man schaffe außerdem mit der verabredeten Aktivrente den "Einstieg in eine längere Lebensarbeitszeit". Und mit der "Frührente" habe man einen Einstieg in eine kapitalgedeckte Absicherung verabredet.
Über das Thema Kapitaldeckung habe man vor einigen Jahren mit der SPD noch nicht einmal reden können. Jetzt habe man die SPD soweit, und nun bitte er um die Zeit und die Möglichkeit, insgesamt ein vernünftiges System aufzustellen, das eine stärkere private und eine stärkere betriebliche Säule in der Rente beinhalte. Da säßen die Arbeitgeber mit im Boot. "Sie müssen bitte Ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern attraktive Angebote machen für den Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung." Da bekommt er Applaus im Saal.
Auch den Arbeitgeberpräsidenten hat er mit seinen Ausführungen erreicht. "Ich und wir alle haben weiter Vertrauen in diese Regierung und wünschen dir eine glückliche Hand", sagt Dulger. "Wir reichen dir die Hand dazu." Ein gelungener Auftritt für Merz. Doch noch ist offen, ob der Kanzler auch noch die Rentenrebellen in den eigenen Reihen überzeugt bekommt.