Künstler und Aktivist Alvaro Enciso steht im wüstenähnlichen Grenzgebiet im US-Bundesstaat Arizona. "Was Sie hier sehen, unterscheidet sich wirklich nicht von dem, was in Europa passiert. Der große Unterschied besteht darin, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, zu viel Wasser. Hier sterben Menschen, weil es kein Wasser gibt. Es ist das Wasser, das die Menschen in Europa im Mittelmeer tötet, und der Wassermangel tötet die Menschen hier, aber die Bedingungen sind die gleichen. Arme Menschen versuchen ihr Leben irgendwo zu verbessern, wo sie sich sicher fühlen und wo sie etwas geben können, Familien eine bessere Zukunft", sagt er.
Alvaro Enciso bricht herunter, worum es an der Grenze zu Mexiko geht. Der Künstler und Aktivist stammt aus Kolumbien und kam als Einwanderer in die USA. Nun stellt er Kreuze auf – für die Migranten, die im wüstenähnlichen Grenzgebiet zwischen dem US-Bundesstaat Arizona und Mexiko gestorben sind. 1600 Kreuze hat er bereits errichtet, tatsächlich dürften es aber viele Tausende mehr sein, deren Körper nie gefunden wurden. Enciso möchte so gemeinsam mit anderen Freiwilligen an die verstorbenen Migranten erinnern, ihnen ein Zeichen setzen.
Entscheidendes Thema im US-Wahlkampf
Das Thema Migration ist eines der entscheidenden Themen im Kampf ums Präsidentenamt. In landesweiten Umfragen der Swing States liegen Harris und Trump gleichauf. Doch beim Thema Migration punktet vor allem Trump. Das Problem ist ein veraltetes Einwanderungssystem, das seit den 90er-Jahren nicht mehr modernisiert wurde. In den vergangenen Wochen verschärft sich Trumps Ton gegen die illegalen Migranten.
Donald Trump: "Ich werde mich auf den Aliens Enemy Act von 1798 berufen, um jedes kriminelle Migrantennetzwerk, das auf amerikanischen Boden operiert, ins Visier zu nehmen und zu zerschlagen. Und wenn sie zurück in unser Land kommen, werden wir sie so weit aus unserem Land werfen, dass sie es nicht glauben werden. Sollten sie erneut in unser Land kommen, gibt es automatisch zehn Jahre Gefängnis ohne Bewährung. Und wenn das nicht reicht, gibt es eben 20 Jahre."
Viele republikanische Wähler verbinden die Probleme der Migration mit Kamala Harris. Unter Joe Biden, dessen Vize Harris ist, konnte keine Einigung mit den Republikanern für ein verschärftes Zuwanderungsrecht im US-Kongress gefunden werden. So erließ Biden im Juni im Alleingang eine neue Verordnung: Behörden können nun irregulär eingereiste Menschen ohne vorherige Bearbeitung ihrer Asylanträge abschieben. Werden mehr als 2500 Asylbewerber pro Woche aufgegriffen, setzt automatisch ein zweiwöchiger Aufnahmestopp ein, bis die Zahlen wieder unter die Marke von 1500 fallen.
Keine Fortsetzung von Bidens Politik
Harris macht in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich, dass ihre Präsidentschaft keine Fortsetzung der Linie von Joe Biden sein wird. Sollte sie Präsidentin werden, wolle sie im Kampf gegen den Drogenhandel an der Grenze auf Überwachung und weitere 1500 Grenzschutzbeamte setzen. Und das Gesetz zur Grenzsicherheit unterzeichnen, das von den Republikanern blockiert wurde.
Die Zahl der illegalen Grenzübertritte ist laut US-Regierung seit Bidens neuer Verordnung stark zurückgegangen. Gleichzeitig sterben immer mehr Migranten hier in den abgelegenen Grenzregionen. Die meisten verdursten, weil sie zu spät gefunden werden.
Samariter retten Leben an der US-mexikanischen Grenze
Gail Kocourek versucht zu retten, wen sie kann. Die 78-Jährige ist Teil der "Tuscon Samaritans" in Arizona. Sie verteilt Wasser, Lebensmittel und Medikamente an Migranten. Am Grenzzaun entdeckt Kocourek zehn Männer in den Bergen, versorgt sie mit Wasser und gibt ihnen noch einen Wasserfilter mit auf den Weg.
Jan Christoph Wiechmann: „Es gibt zwei Formen von Migranten. Das sind die Asylbewerber, die sich hier stellen, die dann also mit der Border Patrol, wie die Grenzschützer genannt werden, den ganzen Prozess starten, in die USA kommen und dann ihren Asylprozess beginnen. Und die anderen, die haben wir hier gerade erlebt. Das sind, wie sie hier genannt werden, Illegale. Ein etwas falscher Ausdruck. Das sind einfach Migranten, die Arbeit suchen, die aber nicht unbedingt als Asylbewerber anerkannt werden und die dann versuchen sich durchzuschlagen. Und zwar, wie man eben gesehen hat, mit Uniformen, damit sie nicht entdeckt werden. Die gehen jetzt auf ihren langen Weg, und das können vier bis fünf Tage sein. Gefährlich in der Hitze, ohne Wasser, ohne viel Essen. Und deswegen hilft die Organisation Tuscon Samaritans hier aus. Und ja, man kann ihnen nur viel Glück wünschen, dabei zu überleben in diesem sehr unwirtlichen Gebiet hier im Süden von Arizona.“
Die größte Gefahr droht den meisten Migranten jedoch nicht von Grenzbeamten, sondern von "Vigilantes", sogenannten Bürgerwehren – Trump-Fans, die Jagd auf Migranten machen. So sind auch Wassertanks betroffen, die die Samariter aufgestellt haben.
Gail Kocourek: "Sie (die Bürgerwehren; Anm. d. Redaktion) brechen das ab und erschießen sie. Das ist eine Sache, die sie gerne tun. Oder die binden es so oder halten es, dass der Tank einfach ausläuft. Sie (die Samariter, Anm. d. Red.) haben angefangen, sie abzuschließen, weil Leute Benzin hineinschütteten." Manchmal werde auch auf Wassertanks geschossen, damit sie auslaufen.

Demografischer Wandel: USA benötigt Fachkräfte
Die Lügen, die Trump über Migranten verbreitet, tun ihr Übriges im eh schon vergifteten Klima rund um die Migrationsdebatte in den USA. Viel wird über Abschiebungen und den Bau von Mauern an der Grenze gesprochen. Weniger darüber, dass auch die USA dringend junge Menschen für den Arbeitsmarkt benötigt. Und das in einem Land, das eigentlich als „melting pot“ von jeher Menschen aus aller Welt willkommen hieß.
Alvaro Enciso: “Was die Menschen in diesem Land vergessen, ist, dass dieses Land von Migranten geschaffen wurde. Und das ist es, was Migranten geben. Die Vielfalt dieses Landes verleiht diesem Land seinen besonderen Charme. Kultur aus allen möglichen Völkern und Ländern überall. Das macht Amerika zu dem, was es ist: das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das Land der Milch und des Honigs, das Land des Überflusses. Und es sind Migranten, die das alles geschaffen haben.”
Am 5. November entscheidet sich, welcher Präsident oder Präsidentin das Land für die nächsten vier Jahre formen wird. Doch jetzt schon ist sicher, dass Alvaro Enciso und Gail Kocourek auch dann weitermachen werden – egal, wer es wird.