In der vergangenen Woche fuhr Italien das volle Angebot auf. Atemberaubende Landschaften, Sonnenschein, Treffen mit der Regierungsspitze, eine Papst-Audienz. Das Land bot, was es bieten konnte – für ihn, Donald Trump. Dem sollte es bei seinem ersten offiziellen Besuch in Italien an Nichts fehlen – und dennoch: Der US-Präsident stieg am Samstag auf Sizilien in seine Air Force One und nur wenige Stunden später sagte die Kanzlerin in einem Bierzelt in Bayern, jene Worte, die von Trudering aus um die Welt gehen sollten: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen."
Angela Merkel hat in ihren vergangenen elf Jahren als Bundeskanzlerin mehrere denkwürdige Aussagen getroffen, doch selten schossen ihre Worte derart rasant um den Erdball. Merkels Bierzeltrede sei "ein potenziell richtungsweisender Wandel in den transatlantischen Beziehungen", schrieb die "New York Times" am Montag auf ihre Titelseite – und legte am Dienstag an derselben Stelle nach: "Mit einem Italien, das nicht länger im Fokus der USA steht, stürmt Russland heran, um die Leere zu füllen". Die Quintessenz des Artikels, verfasst von Jason Horowitz, Leiter des Italien-Büros der "New York Times", fasst einer seiner Absätze zusammen: "Es gibt diese Angst unter italienischen, europäischen und amerikanischen Beamten, dass Russland, wie schon in den USA und andernorts, hinter den Kulissen Einfluss ausübt und Nachrichten vernebelt, um einen Schwenk Italiens in Richtung Moskaus herbeizuführen."
Italien, die "Schwachstelle der EU", als leichte Beute
Italien, schreibt Horowitz, würden mehrere Analysten als die Schwachstelle der Europäischen Union betrachten. Einst das Land mit der größten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion, werde Italien nun von Russland beharrlich umgarnt. Präsident Wladimir Putin lud Italiens Premier Gentiloni vor kurzem nach Sotschi ein, Präsident Mattarella kam nach Moskau und die populistische Bewegung "5 Stelle" von Komiker Beppe Grillo verbreite derart russlandfreundliche Botschaften, dass Gerüchte über ihre (nie bestätigte) Finanzierung durch Moskau im Raum stünden. Die Bewegung arbeite daran, Italien weg von den USA und hin in Richtung Russland zu manövrieren. Erste Ergebnisse der versuchten russischen Einflussnahme könne man bereits sehen, schreibt Horowitz: Italien sei sich mehr denn je unschlüssig darüber, ob es die EU-Sanktionen gegen Russland, verhängt vor drei Jahren wegen der illegalen Annexion der Krim, weiterhin mittragen solle.
Experte: Russland will Lockerung der Sanktionen
Wenn Gerhard Mangott den "New York Times"-Artikel liest, dann findet er darin einige Passagen, die er nicht teilen kann. Mangott ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und gilt als Russland-Experte. Im Gespräch mit dem stern spricht er von einem "medialen Hype". "Es gibt nichts daran schönzureden, dass Russland versucht hat, die Wahlen in den Vereinigten Staaten in einem bislang unbekannten Ausmaß zu beeinflussen", sagt er. "Doch von diesem Beispiel abzuleiten, wir würden dieselben massiven Einflussversuche nun in anderen Ländern erleben, ist nicht gestattet." Russland, ist sich der Professor sicher, rechne sich keine Chancen aus, die neue Haltung der Vereinigten Staaten zur Transatlantischen Zusammenarbeit zu seinen Gunsten ausnutzen zu können – auch in Italien nicht.
Denn mehr als um langfristige Bindungsfragen gehe es Russland um schnelle, wirtschaftliche Vorteile – und Italien spiele diesbezüglich eine Schlüsselrolle. "Das Land wäre der einzige Mitgliedsstaat der EU, der unter bestimmten Bedingungen sein Veto gegen eine Verlängerung der Sanktionen einlegen könnte", erklärt Mangott. Zur großen Freude von Wladimir Putin zeigt sich Italien dieser Idee nicht abgeneigt: Russland ist ein wichtiger Handelspartner für den Stiefelstaat. Von schwächelnder Wirtschaft geplagt, wäre Italien durchaus daran interessiert, die Handelsbeziehungen zu Russland wieder zu normalisieren, erklärt Mangott. Die Sanktionen müssen im Halbjahrestakt verlängert werden. Der nächste Stichtag dafür ist im Juli.
All dies sei dann auch der Grund dafür, warum Russland generell alle politischen Kräfte unterstütze, die für das Ende der Sanktionspolitik der EU einstehen und darüber hinaus eine Chance haben, an die Regierung zu kommen, meint Mangott. Das sei in Österreich so gewesen, das sei in Frankreich so gewesen und das sei nun in Italien so. Dort wird wohl gegen Ende des Jahres wieder gewählt. Wann und wie genau – das weiß aktuell weder Russland noch Italien selbst.