Venezuela "Das Referendum hat etwas verändert"

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung verloren, die seine Macht stärken sollte. Einer der führenden Regierungskritiker des Landes, Leopoldo Lopez, sagt im stern.de-Interview, wie die Opposition diesen Erfolg für sich nutzen will.

Das venezolanische Volk hat in einem Referendum mehrheitlich gegen die von Chavez gewollte Verfassungsreform gestimmt. Der Präsident will trotz der Niederlage seinen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" fortsetzen. War das Referendum umsonst?

Nein. Der Sonntag hat etwas sehr Wichtiges verändert. Das venezolanische Volk hat ein Verfassungsprojekt abgelehnt, das für Autoritarismus, Zentralismus, Militarismus und Staatskapitalismus stand. Präsident Chavez mag zwar dieses Projekt weiter verfolgen, aber die Venezolaner haben in ihrer Mehrheit seine Vision für das 21. Jahrhundert abgelehnt. Nun ist unsere Aufgabe, eine andere Vision zu entwickeln.

Präsident Chavez bleibt auch nach dem Referendum der populärste Politiker des Landes. Wie sieht die zukünftige Strategie der Opposition aus?

Ich glaube, wir müssen eine Alternative präsentieren, die sich nicht auf Personen, sondern auf Inhalte stützt. Wir müssen ein Programm entwickeln, das sich mit den Problemen dieses Landes befasst wie der schlechten Sicherheitslage, der Wohnungsnot, mit der Korruption und der Armut, damit das Volk die Wahl hat zwischen der einen und der anderen Agenda.

Die Opposition hat Chavez eine Politik der Versöhnung angeboten. Sind Sie bereit, sich mit dem Präsidenten zu treffen und mit ihm über politische Fragen zu sprechen?

Wir sind dazu bereit. Es hängt vom Willen des Präsidenten ab, ob er, wie in jeder anderen Demokratie auch, jene politischen Kräfte anerkennt, die nicht seiner Ideologie nahe stehen, die aber genau so Venezolaner sind und die selben Recht haben wie er.

Keine Oppositionspartei einschließlich ihrer Partei "Un Nuevo Tiempo" ist im Parlament vertreten. Wie können Sie überhaupt die Politik in diesem Land mit gestalten?

Wenn sie mich vorige Woche gefragt hätten, wie wollen Sie das Referendum gewinnen, ohne die Unterstützung durch den Staat, ohne Geld, ohne die Armee, ohne das Parlament - ich hätte ihn dasselbe wie heute geantwortet: Wir haben die Möglichkeit, das Gewissen der Bürger zu wecken. Politik sind nicht allein die Institutionen, Politik sind die Bürger.

Zur Person

Leopoldo Lopez wird als einer der Herausforderer des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2012 gehandelt. Der gerade mal 36-jährige ist einer der Führer der Mitte-Links-Formation "Un Nuevo Tiempo", derzeit stärkste Oppositions-Partei. Als Bürgermeister von Chacao, dem wohlhabendsten Stadtteil Caracas', genießt er sehr große Popularität. Er hat mehrere Attentatsversuche überlebt.

Der Erfolg des Referendums war auch dem gemeinsamen Auftreten der Opposition zu verdanken. Werden Sie weiter zusammenarbeiten oder getrennte Wege gehen?

Wir wollen gemeinsam eine Vision erschaffen, in der Meinungsvielfalt herrscht. Gemeinsamkeit sollte nicht bedeuten, dass wir die Besonderheiten wegwerfen.

War der Boykott der letzten Parlamentswahlen seitens der Opposition im Jahr 2005 ein Fehler?

Ja. Wir werden an den nächsten Wahlen teilnehmen.

Chavez wirft seinen venezolanischen Kritikern vor, Handlanger der US-Regierung zu sein. Was ist ihre Antwort darauf?

Das ist bullshit.

Mit welchen Programmpunkten will "Un Nuevo Tiempo" die Bewohner in den Armensiedlungen für sich gewinnen, Menschen die bisher für Chavez stimmten?

Die Regierung verbreitet die Idee, dass die Opposition nur die Interessen der Mittelschicht vertritt. Das ist eine Lüge, genau wie die, dass wir von den Amerikanern geführt werden. Es gibt viele Menschen im einfachen Volk, die uns bei der Suche nach einer Alternative zu Chavez unterstützen.

Der Erfolg von Chavez basiert zu einem großen Teil auf seinen Sozialprogrammen, den "misiones", in den Armensiedlungen. Was halten Sie davon?

Ich finde, die Programme müssen weitergehen, aber sie bedürfen einer Neubewertung. Die Sozial- und Bildungsprogramme haben sich zu einem Anhang der Regierungspartei entwickelt. Das ist nicht richtig.

Wenn Ihre Partei "Un Nuevo Tiempo" die Möglichkeit hätte, was wären Ihre ersten politischen Entscheidungen?

Wir würden die soziale Sicherheit verbessern und zum Beispiel die Versorgung mit Lebensmitteln sicherstellen. Venezuela ist das reichste Land Lateinamerikas, aber es gibt zum Beispiel keine Milch zu kaufen. Ist das gerecht?

Halten Sie die Verstaatlichung wichtiger Unternehmen unter der Regierung Chavez für einen Fehler?

Ich glaube an einen großen, aktiven Privatsektor. Wir müssen den aktuellen Staatskapitalismus überwinden. Der venezolanische Staat besitzt Unternehmen im Öl-, Gas-, Strom- und Telekommunikationsbereich und will weitere Firmen in anderen Sektoren übernehmen. Das führt zu Ineffizienz. Wie kommt es, dass wir trotz Ölboom und einem Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel im letzten Monat eine Inflation von zehn Prozent hatten? Das heißt aber nicht, dass wir eine Wirtschaftspolitik wie die USA betreiben wollen. Ich glaube an einen starken Staat, der regulierend eingreift.

Viele Beobachter halten Sie für den perfekten Kandidaten der Opposition bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012. Was sagen Sie dazu?

Wir man so schön sagt: Man sollte nicht über ungelegte Eier reden.

Interview von unserem Korrespondenten