Wahl in der Schweiz Revolution - nach Schweizer Art

Von Michael Körte
Die Abwahl des Rechtspopulisten Christoph Blocher ist ein politisches Beben für die traditionell auf Ausgleich bedachte Eidgenossenschaft. Seine linken und konservativen Gegner haben es mit diesem spektakulären Schachzug allen gezeigt. Und doch: Die Schweiz bleibt, wie sie ist.

Es war eine kurze Sitzung mit Langzeitwirkung: Im altehrwürdigen Bundeshaus in Bern traten die Mitglieder der beiden Schweizer Parlamentskammern am Donnerstag zusammen, um zu hören, wie Eveline Widmer-Schlumpf den entscheidenden Satz sagt: "In diesem Sinne erkläre ich die Annahme der Wahl." Frau Widmer-Schlumpf war bis zu diesem Augenblick für die Schweizer Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt - seit heute ist sie nicht nur Mitglied der siebenköpfigen Schweizer Regierung, dem Bundesrat, sondern die Frau, die sich zur Verfügung stellte, um den rechten Scharfmacher und Justizminister Christoph Blocher aus Amt und Würden zu befördern.

Für die Schweiz ein unerhörter Vorgang. Hier gilt das ungeschriebene Gesetz, dass ein einmal gewähltes Regierungsmitglied so lange im Amt bleibt, bis es von selbst ans Aufhören denkt. Nicht zuletzt deshalb genießt die Schweiz den Ruf der politischen Stabilität. Allerdings ist der jetzt abgewählte Christoph Blocher vor vier Jahren selbst auf diese Weise an die Macht gekommen. Damals wollte seine Schweizerische Volkspartei (SVP) mehr Einfluss im Bundesrat und ließ mit Hilfe anderer Regierungsparteien eine Bundesrätin der konservativen Christdemokraten (CVP) abwählen.

Eine ewige Koalition der Kompromisse

Der Wahlgewinner stellt die Regierung: Was für deutsche Ohren vertraut klingt, ist in der Schweiz völlig unbekannt. Seit 1959 herrscht in der eidgenössischen Bundespolitik ein System der sogenannten Konkordanz. Alle großen Parteien, SVP, CVP, die wirtschaftsfreundliche FDP und die Sozialdemokraten, sind in der Regierung vertreten. In einer Art ewigen Großen Koalition wird eine Politik der Kompromisse betrieben. Reine Oppositionsparteien wie die Grünen sind dagegen bedeutungslos.

Doch der Aufstieg der SVP zur stärksten Schweizer Partei stellte die Konkordanz auf eine ernste Belastungsprobe. Unter der Führung des Multi-Milliardärs Christoph Blocher wurde die ehemals von Bauern und Handwerkern geprägte SVP zu einer straff organisierten rechtspopulistischen Partei, die mit ihrer fremdenfeindlichen Politik auf Konfrontation statt Kompromiss setzte.

Der SVP fehlt der direkte Draht zur Regierung

Mit diesem unschweizerischen Auftreten hat Blocher jetzt den Bogen überspannt. Gleich nach seiner Abwahl kündigte er mit seinen Getreuen von der SVP den Gang in die Opposition an. Es ist das erste Mal, dass in der Schweiz eine Bundesratspartei die Seiten wechselt. Obwohl die SVP fast 30 Prozent der Wähler hinter sich weiß, muss die Regierung die neue Opposition jedoch nicht fürchten. Schon als Regierungspartei inszenierte sich die SVP als die wahre Opposition im Land.

Sie hat ihr Widerstandspotenzial bereits ausgeschöpft. Zwar kann man in mit den Instrumenten der direkten Demokratie, Referendum und Volksinitiative, den Regierenden erhebliche Probleme bereiten. Die SVP stand aber in jüngster Vergangenheit bei Abstimmungen meistens als Verliererin da, wenn sie keine Schützenhilfe von anderen Regierungsparteien erhielt. Außerdem fehlt der SVP in der Opposition der direkte Draht in die Regierung und eine Karriereleiter für ihre Kader.

Frau Widmer-Schlumpf ist keine Verlegenheitslösung

Wie sehr die SVP mit Blocher im Abseits steht, zeigt sich auch an der drohenden Spaltung der Partei. Nicht jeder in der SVP ist auf Blocher-Kurs, viele Mitglieder sind zwar konservativ, halten aber die Schweizer Werte wie Bescheidenheit und Ausgleich hoch. Und genau diesen Parteiflügel hatten die anderen Parteien im Auge, als sie in einem taktischen Schachzug Blocher durch Eveline Widmer-Schlumpf ersetzten. Die 51-jährige Provinzpolitikerin ist nämlich auch SVP-Mitglied, gehört allerdings dem gemäßigten Flügel an.

Prompt wurden Frau Widmer-Schlumpf und der zweite, ebenfalls gemäßigte SVP-Bundesrat Samuel Schmid von den Hardlinern um Blocher exkommuniziert und nicht mehr als Vertreter ihrer Partei angesehen. Typisch schweizerisch: Frau Widmer-Schlumpf ist keine Verlegenheitslösung, sondern in ihrer Heimat eine anerkannte und ausgewiesene Finanz- und Wirtschaftsexpertin. Die säbelrasselnden Hardliner wurden mit Hilfe einer der ihren ausmanövriert, die verbleibenden konservativen Kräfte in die Balance der Konkordanz integriert.

Und so wird die Schweizer Politik wohl bleiben, wie sie schon immer war: eine fortwährende Suche nach kleinen, aber stabilen Kompromissen.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos

Mehr zum Thema