Fried – Blick aus Berlin Zum Geburtstag ein Bruch? Merz bringt Merkels Erbe zum Wackeln

Migranten an der Grenze in der nähe von Wegscheid Deutschland
© Johannes Simon / Getty Images
Die CDU will mehr Migranten an der Grenze zurückweisen. Es wäre der Bruch mit Merkels Flüchtlingspolitik. Ob sie sich dann noch gratulieren lässt?

Für den 25. September bittet die CDU ausgesuchte Gäste in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Sie will Angela Merkel nachträglich zum 70. Geburtstag gratulieren. "Wir freuen uns", hat Parteichef Friedrich Merz verkündet, für den die Veranstaltung nicht unbedeutend ist, weil sie ein Jahr vor der Bundestagswahl ein Signal später Gemeinsamkeit zwischen ihm und seiner einstigen Rivalin senden würde. Das könnte der mutmaßliche Kanzlerkandidat gut gebrauchen. Wähler schätzen Geschlossenheit.

Mal sehen, ob es wirklich dazu kommt.

Derzeit verhandelt die Ampelregierung mit der Union, wie sich die illegale Migration eindämmen lässt. Der Auftakt zum Migrationsgipfel am Dienstag platzte; die Union brach die Gespräche ab: Die Vorschläge der Ampel-Koalition seien unzureichend gewesen. 

Merkels Flüchtlingspolitik von 2015 hat an sich schon viele Verteidiger in der Union verloren. Merz’ aktuelles Drängen gegenüber der Bundesregierung, mehr Migranten an der Grenze zurückzuweisen, hat aber das Zeug, CDU und Ex-Kanzlerin endgültig zu entzweien. Der Streit rührt an ein unionsinternes Trauma.

Dabei geht es gar nicht so sehr um Merkels Entscheidung von damals, die Grenze zu Österreich für aus Ungarn kommende Geflüchtete nicht zu schließen. Viel erbitterter führte man den Streit 2018. Zuvor hatten sich die Parteivorsitzenden Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) nach Verlusten bei der Bundestagswahl in der Migrationspolitik verständigt. Seehofer bekam, was er immer wollte, eine Art Obergrenze, wenn auch flexibel. Seinem Drängen, auch Zurückweisungen an der Grenze zu ermöglichen, hatte Merkel jedoch widerstanden.

Der Seehofer-Masterplan gilt als Ursprung des Dramas

2018 schrieb Seehofer dann als Bundesinnenminister einen Masterplan Migration. Darin stand, dass Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Staat der EU registriert worden seien, an der Grenze abgewiesen werden könnten. Also genau die Forderung, die CDU und CSU (und FDP) jetzt wieder erheben. Merkel untersagte das damals und drohte recht unverhohlen damit, Seehofer bei Zuwiderhandlung als Minister zu entlassen.

Man muss dazu wissen, dass Merkel weniger juristisch argumentierte als politisch. Sie wollte eine europäische Lösung, im Einklang mit Grenzanrainern, ohne dass Geflüchtete außerhalb Deutschlands immer weiter hin und her geschoben würden. Die Kanzlerin fürchtete, wovor manche Experten auch jetzt warnen: Weil kein Durchkommen nach Deutschland mehr wäre, schlössen auch andere Staaten auf den Flüchtlingsrouten ihre Grenzen, was zu Rückstau in Ankunftsländern wie Italien oder Griechenland führen würde. Darum wollte Merkel nicht unilateral handeln, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter. So oft ließ sie diese Prinzipien wiederholen, dass sie im politischen Berlin einen Spitznamen bekamen: die drei Nichtse.

Es waren wilde Tage in der Union. Die Bundestagsfraktion stand vor dem Bruch, Seehofer trat für eine halbe Nacht vom CSU-Vorsitz zurück, ehe er es sich doch noch anders überlegte. Am Ende schlichtete Wolfgang Schäuble, man einigte sich auf einen Kompromiss. Zurückweisungen sogenannter Dublin-Flüchtlinge aber unterblieben.

Will Merkel überhaupt noch eine Gratulation der CDU?

Kommt es nun zur Einigung von Ampel und Union, mehr Zurückweisungen an der Grenze zu ermöglichen, wäre dies nicht nur ein Erfolg für Merz und ein fundamentaler Wechsel in der deutschen Asylpolitik. Nähme die Union den Rückstau von Migranten, anders als die Altkanzlerin, zu Abschreckungszwecken in Kauf – und hinter vorgehaltener Hand gibt das mancher Unionist durchaus zu –, es wäre der Schlussstrich unter Merkels Flüchtlingspolitik. Warum sollte sie sich da noch von Merz und seiner CDU zum Geburtstag gratulieren lassen?

Erschienen in stern 38/2024

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