"Anne Will" Die Grenzen des Olaf Scholz

Angestellte, Gewerkschaften und die Parteien, allen voran die SPD, sind sich einig: Der Aufschwung muss bei den Menschen ankommen. Bei "Anne Will" legte sich Arbeitsminister Olaf Scholz ins Zeug, machte aber auch deutlich, dass die Arbeitnehmer dabei nicht unbedingt auf ihn zählen sollten.

"So um den 20. eines Monats rutscht der Kontostand ins Minus", sagt Jörg Thiele. Der Mann mit dunklem Seitenscheitel und Dreitagebart arbeitet als Koch in Berlin. Doch sein Verdienst in Höhe von 1600 Euro reiche jedoch kaum aus, um ihn, seine Frau Uta und den dreijährigen Sohn über die Runden zu bringen. Nun sitzt das Ehepaar auf der Couch im Fernsehstudio von Anne Will, die mit ihren Gästen das Thema "Endlich mehr netto für alle: das Ende der Bescheidenheit" diskutieren will.

Die Gesprächsrunde ist mit Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer und dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle wie üblich prominent besetzt. Scholz hatte in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder betont, dass nach Jahren der Zurückhaltung die Arbeitnehmer nun Anspruch auf "vernünftige" Tarifabschlüsse hätten. Mit vernünftig meint er natürlich vor allem: die Leute sollen deutlich mehr Geld verdienen. Scholz' Problem dabei: Er selbst kann so viel dazu nicht beitragen. Denn die Tarifverhandlungen seien Sache der Gewerkschaften und der Arbeitnehmervertreter, die Tarifautonomie ist im Grundgesetz festgeschrieben. Sollte der Bundesarbeitsminister also selbst für die von ihm geforderten "vernünftigen" Tarifabschlüsse 2008 sorgen wollen, müsste er in der großen Koalition vorher eine Grundgesetzänderung durchbringen.

"Die Politik ist nicht zuständig"

"Jahrelang hat sich die Politik zum Thema Lohnentwicklung zurückgehalten", sagt Scholz, "aber die wirtschaftliche Entwicklung rechtfertigt nun eine Einmischung". Eine Äußerung, der Guido Westerwelle natürlich deutlich widerspricht: "Die Politik ist nicht zuständig", sagt er und watscht damit Scholz unter Hinweis auf die Tarifautonomie ab. Er sieht ganz andere Ursachen dafür, dass der Aufschwung nicht bei den Arbeitnehmern ankommt und wiederholt sein Mantra von zu hohen Steuern. So kämen zwei Drittel der Energiekosten für die Verbraucher durch den Staat zustande. "Ich maße mir nicht an, den Tarifparteien etwas vorzuschreiben", sagt Westerwelle.

Lilo Friedrich stellt sich dagegen deutlich auf die Seite der Arbeitnehmer. Sieben Jahre lang saß die 58-Jährige für die SPD im Bundestag, bevor sie in die Arbeitslosigkeit geriet. Inzwischen führt sie als Unternehmerin einen Putzservice, dessen Mitarbeiterinnen auch Einkäufe für die Kunden erledigen. Obwohl Friedrich selbst sich nicht in der Lage sieht, mehr als den von ihrer Partei geplanten Mindestlohn von 7,50 Euro zu zahlen, versteht sie die Existenzängste ihrer Mitarbeiter. "Durch die Teuerungsrate kommt nichts vom Aufschwung bei den Arbeitnehmern an", sagt sie.

Vernünftige Mitarbeiter, vernünftige Bezahlung

DGB-Chef Sommer nutzt bei Anne Will die Gelegenheit, um an die Arbeitgeber zu appellieren: "Sie brauchen vernünftige Mitarbeiter und die Mitarbeiter brauchen vernünftige Bezahlung", sagt er. Damit nicht genug: "Teilweise haben Unternehmer und Angestellte über Jahrzehnte gemeinsam etwas geschaffen. Daraus erwächst dann auch Verbundenheit und Verantwortung", sagt Scholz.

Als Anne Will die Diskussion auf Unternehmen lenkt, die diese Verantwortung durch üppige Managergehälter nicht tragen würden, nimmt Scholz das Thema dankbar auf. Er spricht sich für eine Höchstgrenze der Abfindungen für Manager aus, fordert mehr Transparenz und schlägt vor, die Aktionärsversammlung solle ein Mitspracherecht bei der Höhe der Managergehälter haben. Eine Antwort auf Anne Wills eigentliche Frage nach einer Höchstgrenze für Vorstandsbezüge vermeidet der Sozialdemokrat lieber.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zeit, etwas zurückzuzahlen

Bei Steuern und Lohnnebenkosten könnte das Kabinettsmitglied Scholz aber sehr wohl eingreifen. Als Will diese Möglichkeit anspricht, verweist der Arbeitsminister auf die Kürzungen bei den Renten, die aus einer Senkung etwa der Sozialversicherungsbeiträge resultierten. "Politiker verschweigen das gerne", sagt er und gibt sich damit ehrlich und unnachgiebig zugleich. Doch wo die Moderatorin ihn schon einmal zu den Einflussmöglichkeiten der Politik befragt, erkundigt sie sich gleich nach möglichen Eingriffen in die Tarifautonomie. "Die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren nur schwach gestiegen. Die Arbeitnehmer haben einen großen Anteil am Aufschwung, jetzt wird es Zeit, ihnen etwas zurückzuzahlen", sagt Scholz und belässt es wiederum bei seinem Appell an die Arbeitgeber.

Zum Schluss blicken die Gäste in die Zukunft: Wieviel der von der Gewerkschaft Verdi geforderten acht Prozent denn letztendlich in den Tarifverträgen stehen würden? Die rothaarige Unternehmerin Friedrich nimmt kein Blatt vor den Mund: "Wenn es für die Arbeitnehmer gut läuft - und das hoffe ich - sind es am Ende fünf Prozent mehr Lohn", sagt sie. Doch in der Gesprächsrunde bleibt sie mit dieser konkreten Äußerung eine Ausnahme. Nach Guido Westerwelle weigert sich auch Olaf Scholz mit dem Hinweis auf die Tarifautonomie, einen Tipp abzugeben.

Spätestens jetzt wird klar, dass Scholz außer populistischen Appellen nichts für die SPD-Klientel der Arbeitnehmer tun wird, tun wird können. Auf eine Grundgesetzänderung wegen der Tarifautonomie oder einer Senkung der Lohnnebenkosten sollten die Arbeitnehmer jedenfalls nicht hoffen. Bei den Tarifverhandlungen bleiben die Gewerkschaften jedenfalls auf sich allein gestellt.

Doch wie die Tarifrunden 2008 auch ausgehen mögen: Jörg Thiele und Uta Frischke interessiert das nicht mehr. Sie wollen zwar, dass es für sie finanziell wieder aufwärts geht. Doch dafür wandern sie in wenigen Wochen aus - und verlassen sich nur auf sich selbst.