"Das Wichtigste ist der Mut" Westerwelle stichelt gegen die Kanzlerin

Guido Westerwelle kann sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. "Konrad Adenauer hat einst als Bundeskanzler gesagt: "Das Wichtigste ist der Mut!" Dieser Idee fühle ich mich verpflichtet. Denn ich will gestalten."

Guido Westerwelle kann sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. "Konrad Adenauer hat einst als Bundeskanzler gesagt: "Das Wichtigste ist der Mut!" Dieser Idee fühle ich mich verpflichtet. Denn ich will gestalten."

Der Vizekanzler nimmt den Namen der Kanzlerin nicht in den Mund. Doch wenn sie will, kann Angela Merkel den Satz auch auf sich beziehen. Ausgerechnet den "Alten", den ersten Bundeskanzler der Republik, den ersten CDU-Vorsitzenden, nennt der FDP-Chef als Vorbild. Und wer möchte, kann aus seinen Worten in der "Bild am Sonntag" auch eine Stichelei gegen die CDU-Chefin lesen: Zu wenig Mut, zu wenig Gestaltungswillen, ganz anders als Adenauer.

Seit Monaten gibt es in der Koalition handfesten Streit um Sachthemen und kleine Nickeligkeiten. Zuletzt hatte Merkel ihrem Vizekanzler deutlich gemacht, dass sie mit dessen schrillen Tönen in der Debatte über die Zukunft des Sozialstaats nicht einverstanden ist. Westerwelles Äußerung, wer "dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", brachte das Fass bei der Kanzlerin zum Überlaufen, heißt es in der CDU.

Doch die Entwicklung hat ihren Vorlauf, auch bei der FDP. In den ersten 100 Tage habe man sich strikt an die Sacharbeit gehalten. Aber das sei von der Union nicht honoriert worden, heißt es im Umfeld von Westerwelle. Steuererleichterungen, Gesundheitsreform - mit keiner ihrer zentralen Forderungen kam die FDP weiter. Und dann noch die Atomkraft-skeptischen Äußerungen von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Vor zwei Wochen, beim Krisentreffen der FDP-Spitze, sei dann klar gewesen, dass es so nicht weitergehe. Westerwelle nahm sich Hartz IV vor.

Der koalitionsinterne Streit, der dann folgte, hat bei den Liberalen manche Verletzung hinterlassen. Niemand in der Union sei beispielsweise offiziell dazwischen gegangen, als Ex-CDU- Generalsekretär Heiner Geißler Westerwelle mit einem Esel verglich, klagt man in der Partei des Vizekanzlers. "Und was aus Bayern von der CSU kommt, spricht Bände."

Sticheleien habe es auch aus der Union in den vergangenen Wochen mehr als genug gegeben. Beispiel: Nachdem Merkel sich über die stellvertretende Regierungssprecherin vom Tonfall Westerwelles distanziert hatte ("Nicht mein Duktus"), hätte sie sich am Aschermittwoch nicht unbedingt auch noch persönlich äußern müssen, meint einer, der die Seelenlage des FDP-Chefs kennen dürfte. "Es war unnötig, das selber zu wiederholen."

Doch für Merkel hatte Westerwelle überreizt. Der pauschale Ton des Vizekanzlers sei für die Union schwer tragbar, "für die Kanzlerin schon gar nicht", heißt es in der Unionsspitze. Merkel fühle sich in erster Linie als Kanzlerin aller Deutschen, dann als Partei- und erst in dritter Linie als Koalitionschefin. "Da muss man sich notfalls gegenüber dem Koalitionspartner auch abgrenzen", erklärt man im Zirkel der CDU-Spitze ihre Beweggründe. "Sie kann eine solche Debatte nicht laufen lassen."

Einen Blick in die Gedankenwelt der Freidemokraten gewährte am Wochenende auch deren früherer Vorsitzender Wolfgang Gerhardt. Helmut Kohl habe als CDU-Kanzler beispielsweise "nie einen Zweifel daran gelassen, dass ein bürgerliches Bündnis seine Wunschkonstellation war und eine große Koalition nicht infrage kam", sagte der Chef der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung dem "Spiegel". Und der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki kritisierte seinen Parteivorsitzenden in dem Magazin dafür, die Koalition mit Merkel immer als "schwarz-gelbes Projekt" angesehen zu haben. "Die Überhöhung war ein Fehler. Das Verhältnis zur Union ist nicht mehr als eine Arbeitsbeziehung", sagte Kubicki.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Koalitionsstreit und kein Ende? Schon in dieser Woche werden Merkel und Westerwelle im Koalitionsausschuss und im Kabinett wieder beisammensitzen. Und die Gelegenheit zum Meinungsaustausch mit CSU- Chef Horst Seehofer wird es für die Kanzlerin und ihren Vize spätestens bei einem der regelmäßigen Dreier-Treffen geben, das für Mittwochabend anvisiert ist.

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Jörg Blank, DPA