Abgeschlossen. Morgens um halb zehn fällt der Landregen auf die "Rote Flora", das Heiligtum der linken Szene im Hamburger Schanzenviertel. Erst zwei Stunden später kommen mit der Sonne auch die ersten aktiven Demonstranten auf die Straße: "Die BFE hat mich gestern mitgenommen", sagt Sven. Sven ist 17, Punk, und die BFE die 'Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit' der Polizei. "Ich war im Polizeikommissariat 14 und im LKA." Und warum? "Weil die uns provoziert haben. Die sind bei uns eingedrungen, verstehst Du?" Die, das sind die Polizeibeamten, die gestern Abend nach der friedlichen Demonstration gegen die Razzia in der "Roten Flora" mit Wasserwerfern anrückten. Dazu berichtet Polizeisprecherin Ulrike Sweden: "Bis 22 Uhr verlief der Aufzug der etwa 900 Demonstranten friedlich. Es gab nur einige Verstöße gegen das Vermummungsverbot und Probleme wegen zu breiter Protestbanner." Danach löste sich der Protestzug auf. Einige blieben zurück.
Polizeisprecherin Sweden: "Die Polizisten wurden mit Bauzäunen, bengalischen Feuern und Flaschen beworfen. Die Wasserwerfer mussten eingesetzt werden." Eine Jagd durch die Seitenstraßen des Schulterblatts begann. "Es gab acht vorübergehende Festnahmen wegen Landfriedensbruchs. Ein Störer, der einem Platzverweis nicht folgen wollte, wurde in Gewahrsam genommen." Einer der acht war Sven. Auf die Frage, ob er auch mit Flaschen geworfen habe, verzieht er seinen Mund zu einem verschmitzten Lächeln, und er streicht sich den klassisch neongrünen Irokesenschnitt auf die andere Seite: "Die wollten uns nur provozieren und Stärke zeigen."
Abiturienten auf der Suche nach Erkenntnissen
"Ene, mene, muh, der/die Terrorist/in bist Du!", steht auf dem Plakat an der "Roten Flora". Ein gemalter Polizist in grüner Uniform und mit blinden, weil verbundenen Augen zeigt, wer damit gemeint ist. Norman Wendler und Marius Krösche wissen nicht, was sie davon halten sollen. Die 17-jährigen Schüler des Gymnasiums Eppendorf machen gerade eine Umfrage über das Sicherheitsgefühl im Schanzenviertel. "Gibt es Plätze in der Schanze, an denen sie sich nicht wohlfühlen?" steht auf dem Fragebogen. Wer will, kann sein Kreuz bei "Schulterblatt/ Susannenstraße", also direkt an der "Roten Flora" machen. "Organisiert sind die G8-Gegner ganz sicher", ist Norman überzeugt, "aber Terroristen? Das ist doch etwas anderes." Die mediale Berichterstattung empfinden sie als aufgebauscht und überzogen, die Durchsuchung der Polizei trotz ihres Zweifels am Verdacht der Gründung einer terroristischen Vereinigung als richtig.
Das sieht Frauke Distelrath, Sprecherin von attac Deutschland, anders: "Die Durchsuchungen der Polizei sind Ausdruck einer Sicherheitspolitik, die nicht rational, sondern paranoid geprägt ist." Auch wenn attac selbst nicht betroffen sei, wäre klar, dass das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel hier nicht eingehalten worden sei. "Die Wirkung ist eine Kriminalisierung und Diskreditierung aller G8-Proteste." Auch zur Rechtfertigung des Polizeieinsatzes mit dem §129a bezieht sie klar Stellung; dieser werde benutzt, um Willkür zu rechtfertigen.
Vor der "Roten Flora" steht Ralf. Auch er war gestern dabei. Er ist um die 30 und wirkt abgeklärter: "Die haben mit der Flex die Türen aufgemacht. Was wollen die denn auf den Computern finden?", fragt er und ergänzt, "Vielleicht ein paar Bus- und Bahnfahrpläne?!" Auch er glaubt, dass es der Polizei im Vorfeld von G8-Gipfel und dem morgen beginnenden Hafengeburtstag darum ging, Stärke zu zeigen. "Am Widerstand gegen den G8-Gipfel wird das nichts ändern", da ist sich Ralf sicher. Und heute Abend? Das, so sagen sie einmütig, wüssten sie noch nicht genau. Aber ja, irgendwas wird bestimmt sein, wenn alle wieder wach sind.