Zügig durchquert der freundliche Professor das weit außerhalb der Brüsseler Innenstadt gelegene Tour & Taxis-Gebäude, das der Familie Thurn & Taxis gehört und das bisher wohl nur wenige der 20.000 EU-Beamten von innen gesehen haben. Dabei entsteht im Tiefgeschoss der wunderbar restaurierten alten Fabrikhalle ein bisher einzigartiges Projekt, das viele Europa-Verantwortliche durchaus interessieren könnte.
Einzigartiges Vorhaben
Der Professor heißt Krzysztof Pomian, 73, ein polnischer Historiker, der mehrere Werke über die Geschichte Europas publizierte und in Paris lehrt. "Noch nie", sagt er in der exquisiten Cafeteria des Fabrik-Tempels, "hat es ein Museum für Europa gegeben. Das ist ein schwieriges Vorhaben, vielleicht nicht ganz so kompliziert wie die europäische Verfassung, aber vielleicht werden ja beide Projekte eines Tages doch noch Wirklichkeit."
Seit zehn Jahren schon tragen Pomian und eine Reihe renommierter Kunsthistoriker und Museumsexperten diverse Konzeptionen für eine "Musée de l'Europe" mit sich herum, das in der EU-Hauptstadt entstehen soll. Zwischenzeitlich hatte das Team schon ein Gebäude am Luxembourg-Bahnhof im Auge und machte sich Hoffnungen auf ansehnliche Budgets. Immer wieder zerschlugen sich Pläne und begannen neue Anläufe. Jetzt steht immerhin die Eröffnungsausstellung für das Europa-Museum im Tour & Taxis-Haus. Sie heißt "It's our History! Europe 1957-2007", wird Ende Oktober eröffnet und ist dann bis Mai 2008 zu sehen. Finanziert wird die Multimedia-Schau, die auf 2000 Quadratmetern die Geschichte der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt, hauptsächlich von der EU-Kommission sowie aus Belgiens Staatskasse.
Jubiläumsfeiern dauern das ganze Jahr
Ist das nicht etwas spät, wo doch gerade am Wochenende in Berlin, Brüssel und anderswo groß der 50. Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert wurde? "Überhaupt nicht", sagt Pomian, der wissenschaftliche Projektleiter, "die Jubiläumsfeiern dauern das ganze Jahr über an, und außerdem wollen wir ja etwas Bleibendes schaffen." Insgeheim hoffen Pomian und seine Kuratoren, dass ihre Europa-Ausstellung soviel Widerhall findet, dass danach endlich das Europa-Museum realisiert wird, das einmal die volle Breite der 3000-jährigen Geschichte Europas illustrieren soll. Auch aus Deutschland gibt es Unterstützung, vor allem vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, das im Jahr 2003 die exzellente Ausstellung "Idee Europa - Entwürfe zum Ewigen Frieden" zeigte.
Pomian, ein guter Freund des kürzlich verstorbenen polnischen Reportergenies Ryszard Kapuczinski, war bei Abschluss der Römischen Verträge immerhin schon 23 Jahre alt und gehört damit in gewisser Weise zu den besonders jungen Gründungsvätern der Union. Hinreißend die Anekdote seiner "ersten Begegnung mit Europa im April oder Mai 1946", die er im Vorwort seines Buchs "Europa und seine Nationen" (Wagenbach Verlag) erzählt: "Ein Zug mit Viehwagons, mit dem Menschen transportiert wurden, überquerte von Nordkasachstan aus kommend die Wolga. Der Zug fuhr langsam über eine frisch wieder aufgebaute Brücke. Die Erwachsenen waren bewegt. Jemand sagte: "Wir sind in Europa, endlich."

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"Schreckliche Neubauten"
Spätnachmittags fährt der gebürtige Warschauer mit mir quer durch Brüssel zur Place Schuman, wo die EU-Kommission und viele Journalisten ihre Büros haben. "Schreckliche Neubauten", sagt Pomian, "warum bloß haben die Verantwortlichen keine guten Architekten genommen?" Die Frage beantwortet er gleich selbst: "Bei einem holländischen Stararchitekten hätte es geheißen, ach der kommt ja aus Holland, und bei einem italienischen, ach der ist ja aus Italien. Also hat man einen beschäftigt, der so unbedeutende und seelenlose Klötze hingestellt hat, dass niemand danach fragt, aus welchem Land der Erbauer kommt."
Womit Pomian auch sagen will: Wenn in Brüssel erst mal das "Musée de l'Europe gebaut wird, könnte es in der EU-Hauptstadt endlich einen Ort geben, in dem so etwas wie Europabegeisterung aufkommen kann. Und wie wird die EU in 50 Jahren aussehen? "Keine Ahnung", schmunzelt der freundliche Professor.