Ständig kommen neue Schreckensnachrichten aus Japan: Explosionen in den Atomreaktoren, ausgetretene Strahlung und eine mögliche Kernschmelze. Die Katastrophe in Fukushima hat auch die Menschen in Stadland und Emmerthal verunsichert. Seit Jahrzehnten leben sie in der Nähe der Atomkraftwerke Unterweser und Grohnde - und fühlten sich sicher. Doch das ist jetzt vorbei. Seitdem die verlängerten Atomlaufzeiten wieder auf dem Prüfstand stehen, geht vor allem in Stadland die Angst um - die Angst um hunderte Arbeitsplätze.
Am Donnerstag wies die Landesregierung den Energiekonzern Eon an, das AKW Unterweser vom Netz zu nehmen. 33 Jahre hat der Reaktor auf dem Buckel, damit ist er einer der sieben ältesten in Deutschland. Atomkraftgegner halten ihn für altersschwach und nicht ausreichend gegen Terroranschläge gesichert. Den meisten Anwohnern bereitet das aber keine schlaflosen Nächte. Schließlich leben sie seit Jahren in der Nähe des Reaktors, ganze Familien arbeiten dort. Vielmehr fragen sie sich: Was kommt danach?
"Es gibt schon eine Menge Leute, die haben hier ein Haus gebaut und eine Existenz aufgebaut", erzählt Pastorin Bettina Roth von der Kirchengemeinde Esenshamm, die für Stadlands Ortsteil Kleinensiel zuständig ist. Gerade hat sie mit Konfirmanden über die Katastrophe in Japan und die Folgen in Deutschland gesprochen. "Sie haben alle gesagt, dass sie bisher keine Angst hatten." Doch die Entscheidung der Bundesregierung, die ältesten deutschen Meiler vorübergehend abzuschalten, habe sie verunsichert. Muss meine Familie jetzt umziehen? Sind Atomkraftwerke doch nicht sicher? Alles Fragen, die Roth nicht beantworten kann.
Im 250 Kilometer entfernten Emmerthal, wo das AKW Grohnde seit 26 Jahren steht, sind die Menschen seit den Ereignissen in Japan ebenfalls nachdenklicher geworden. "Es ist jetzt wieder ins Bewusstsein gedrungen, dass wir das Kraftwerk vor Ort haben", sagt Bürgermeister Andreas Grossmann (SPD). Bedroht oder unsicher würden sich die Menschen dadurch aber nicht fühlen, meint er.
Für die Menschen in Emmerthal und Stadland sind die beiden Atomkraftwerke vor allem wichtige Arbeitgeber. Die Angst vor einem Störfall spielt in ihrem Alltag keine Rolle. In Emmerthal üben zwar die Rettungskräfte mit der AKW-Werksfeuerwehr regelmäßig für den Ernstfall. Sicherheitsübungen für die Bevölkerung gibt es aber nicht - und sind auch nach dem tragischen Unglück in Fukushima nicht geplant. Vor Jahren wurden auch mal Jodtabletten und Infobroschüren verteilt. Grossmann bezweifelt aber, dass die Bürger die noch griffbereit haben.
Auch in Stadland, wo in einem Umkreis von zehn Kilometern um das Kernkraftwerk etwa 43 000 Menschen leben, bleibt alles wie gehabt. Bei einem Reaktorunglück wäre der Katastrophenschutz des Landkreises Wesermarsch zuständig. Die letzte große Übung speziell zu einem AKW-Unfall gab es nach Angaben von Leiter Karl-Heinz Röben im Jahr 2008. "Natürlich üben wir das Evakuieren und andere Szenarien regelmäßig." Außerdem hat der Landkreis in allen Orten Warnsirenen aufhängen lassen, die bei einer Katastrophe losheulen - zum Beispiel bei einer Sturmflut oder einem Störfall.
Ob der Landkreis die Evakuierungspläne für die Umgebung des Atomkraftwerks bald noch braucht, ist fraglich. Denn wie es nach den drei Monaten weitergeht, ist noch völlig offen. Betreiber Eon will es weiterlaufen lassen. Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) und Atomkraftgegner fordern das endgültige Aus. "Die Sicherheit ist nicht gegeben", meint Hinrich Brader von der Bürgerinitiative "Aktion Z". Auch beim Kurznachrichtendienst Twitter jubelten die Kritiker. "AKW Unterweser endlich abgeschaltet. Hoffentlich geht es in drei Monaten nicht wieder ans Netz", schrieb ein Nutzer. "Guter Anfang, doch Dauerabschaltung muss Ziel sein", ein anderer.
Für die Menschen in Stadland wird sich erstmal nichts ändern: Während des dreimonatigen Moratoriums gehen die AKW-Mitarbeiter weiterhin ganz normal zur Arbeit. Nur die Unsicherheit, die wird weiter steigen.