In den Streit über eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes für Ältere kommt Bewegung. Die SPD will in den nächsten Tagen bei einem Treffen zwischen Parteichef Kurt Beck und Arbeitsminister Franz Müntefering einen Kompromiss finden, der dann beim Parteitag in zwei Wochen beschlossen werden könnte. Beide deuteten am Wochenende Möglichkeiten einer Einigung an. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich aus der Debatte bislang weitgehend herausgehalten hatte, zeigte sich offen für Gespräche über eine Neuregelung des Arbeitslosengeldes I (ALG I).
Beck bekräftigte in der "Bild am Sonntag" seinen Vorschlag, die Bezugsdauer des ALG I für Arbeitslose über 50 auf bis zu 24 Monate zu verlängern. "Wir müssen den Menschen, die arbeitslos werden, eine echte Chance geben, um auch wirklich wieder Arbeit zu finden." Zugleich regte der SPD-Vorsitzende an, die Neuregelung alle drei Jahre auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem sollte eine "Missbrauchsklausel" ins Gesetz eingefügt werden. Bislang erhalten ALG-I-Bezieher die Leistung in der Regel für zwölf Monate. Wer über 55 ist, bekommt sie 18 Monate lang.
Auch Müntefering, der Änderungen anfangs abgelehnt hatte, deutete Kompromisslinien an. In der "Bild"-Zeitung regte der Vizekanzler an, die Laufzeit des ALG I für Ältere über zusätzliche Fortbildungsmaßnahmen zu verlängern. Darüber hinaus sei eine "gezielte Sonderregelung" für Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit vorstellbar. Nach Informationen des Magazins "Der Spiegel" will er einer Verlängerung aber nur zustimmen, wenn dies mit zusätzlichen Anforderungen an Betroffene verknüpft wird.
Vorschläge in den Urlaub gefaxt
Demnach will Müntefering jede Möglichkeit der "Frühverrentung" von älteren Arbeitnehmern ausschließen, wie sie vor der "Agenda 2010" vielfach Praxis war. Zudem dürfe die maximale Bezugsdauer von 24 Monaten nur für Menschen über 55 in Frage kommen. Die Vorschläge soll Müntefering per Fax an Parteichef Beck übermittelt haben, der sich vergangene Woche in Spanien im Urlaub befand. Dem "Spiegel" zufolge wurden sie mit Zurückhaltung aufgenommen. Das Blatt zitiert das "Beck-Lager" mit den Worten, dies sei eine "bodenlose Frechheit". Offiziell gab es dazu zunächst keinen Kommentar.
Merkel kündigte in der "Bild am Sonntag" an, nach dem SPD- Parteitag in Hamburg über mögliche Änderungen sprechen zu wollen. Zugleich stellte die CDU-Vorsitzende Bedingungen für eine Verständigung. Falls es Korrekturen beim ALG I geben sollte, müssten diese "kostenneutral" gestaltet werden. "Dabei soll die Bezugsdauer für die, die länger in die Versicherung eingezahlt haben, ausgeweitet werden, und auf der anderen Seite für die, die kürzer eingezahlt haben, die Bezugsdauer verkürzt werden."
Forderungen aus der eigenen Partei
Derweil kamen aus der SPD zahlreiche Appelle an Beck und Müntefering, sich baldmöglichst zu verständigen. Der frühere Parteichef Matthias Platzeck forderte in der "Märkischen Oderzeitung", noch vor dem Parteitag eine Lösung zu finden. Auch Umweltminister Sigmar Gabriel und Finanzminister Peer Steinbrück (beide SPD) warben für einen Kompromiss. Steinbrück machte im "Spiegel" allerdings zur Bedingung, dass damit keine grundsätzliche Abkehr von der "Agenda 2010" verbunden sei.

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Hingegen stellte sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" klar auf die Seite Becks. Müntefering solle sich "einsichtig zeigen". "Einen Kompromiss kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Es macht auch keinen Sinn, danach zu suchen." Die Parteilinke Andrea Nahles äußerte sich in der ARD zurückhaltend: "Kompromissmöglichkeiten, die in einer solchen Phase öffentlich gemacht werden, haben meistens den Schönheitsfehler, dass sie am Ende nicht Wirklichkeit werden."
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, warnte die Sozialdemokraten in der "Welt am Sonntag" vor einem "Linksruck". Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (ebenfalls CDU) warnte in der "Super Illu": "Sollte sich Beck mit seinem Vorschlag innerhalb der Koalition durchsetzen, wäre dies eine schwere Belastung für die Koalition." In Berlin demonstrierten am Samstag rund 7000 Menschen gegen die Sozial- und Innenpolitik der Bundesregierung.