Andrea Ypsilanti Die müde Kriegerin

  • von Sebastian Christ
Wann das Polit-Chaos in Hessen ein Ende hat, wüsste wohl nicht einmal das Orakel von Delphi. Die vergangenen zwei Monate haben ihre Spuren hinterlassen bei Beinahe-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti, die am frühen Wahlabend noch wie die strahlende Siegerin aussah. Nach zwei Wochen Pause betrat sie jetzt wieder die Bühne.

Die Landtagswahl in Hessen ist acht Wochen vorbei. In Andrea Ypsilantis Kopf wird sie jedoch noch lange weiter leben. Das zentrale Gefühl nach zwei Monaten Machtkampf ist das der nicht enden wollenden Schlacht. Keine Grenzen mehr. Keine Freunde. Nur noch Feinde - oder Parteifreunde. Hieronymus Bosch wären die Metaphern ausgegangen, hätte er das hessische Politgemetzel bebildern müssen. Und wenn man genau hin hört, dann spürt man, wie sich jedes einzelne Schauererlebnis durch das Gedächtnis von Andrea Ypsilanti fortgräbt.

Eigentlich wollte die hessische SPD-Spitzenfrau am Donnerstag nur ein Buch vorstellen. Franz Alt hat es geschrieben, es heißt "Sonnige Aussichten". Der Autor, Ex-CDU-Mitglied und Fernsehmoderator, hat Ypsilanti während des Hessen-Wahlkampfes die SPD-Pläne zu dem Ausbau von Öko-Energieanlagen unterstützt. Und da es in dem Buch um nichts anderes geht, unterstützt sie nun ihn. Doch mit beinahe jedem Statement Ypsilantis zeigte sich, dass die Verletzungen der vergangenen Wochen tief sitzen.

"Es war nicht einfach, die Leute von unseren Energieplänen zu überzeugen. Das waren heftige politische Gefechte", sagt sie.

"Auch in der eigenen Partei?“, fragt Franz Alt.

Andrea Ypsilanti antwortet reflexartig: „Auch in der eigenen Partei." Und verhaspelt sich dann, als hätte sie der Gedanke an die Genossen im fernen Wiesbaden für ein paar Sekunden aus dem Tritt gebracht.

"Verunglimpfungen" durch Wolfgang Clement

Auch die Erinnerung an Wolfgang Clement löst bei ihr immer noch unwillkürliche Unmutsäußerungen aus. Der ehemalige Wirtschaftsminister hatte eine Woche vor der Wahl davon abgeraten, für die hessische SPD zu stimmen. Ypsilanti ist strikt gegen die Nutzung von Atomkraft, Clement arbeitet mittlerweile in der Energiebranche - und vertritt eine Atom-affine Haltung. "Der Konflikt hatte sich so zugespitzt, dass wir es am Ende mit einem ehemaligen Bundesminister zu tun hatten", sagt sie. Die knappe Wahlniederlage mit knapp 4000 Stimmen Rückstand auf die CDU habe auch damit zu tun gehabt, "dass die SPD Verunglimpfungen durch Wolfgang Clement hinnehmen musste."

Andrea Ypsilanti wirkt ein wenig gehetzt. Und ihre Sprache wird zusehends militärischer. Sie spricht immer wieder von "Kämpfen" und "Gefechten", so wie jemand, der in den vergangenen Monaten mehr Kraft als Gefühl brauchte. Früher tanzte ihr hessischer Singsang wie eine Melodie durch den Raum, heute senst er dicht über die Reporterköpfe hinweg, bedrohlich, genervt. Es gibt Fragen, die will sie gar nicht erst beantworten. Zum Beispiel: "Sollte man eine Urwahl zur Kanzlerkandidatur von Kurt Beck veranstalten?" Ypsilanti zischt zurück: "Das habe ich in dem Buch nicht gefunden." Erste Nachfrage. Zweite Nachfrage. "Ich bin heute gekommen, weil ich mich über Herrn Alts Einladung gefreut habe", sagt sie schließlich, und bügelt damit das lästige Thema Bundes-SPD ein weiteres Mal ab.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch Hermann Scheer wirkt ein wenig mitgenommen. Der Umwelt- und Wirtschaftsexperte der Hessen-SPD sinniert als zweiter Gastredener über Kosten-Nutzen-Analysen bei erneuerbaren Energien. Tenor: Man kann alles berechnen, nur nicht den Faktor Mensch. Und erst recht nicht, wenn es dabei um Menschen geht, die Politik machen. "Kein Szenario kann voraussagen: Wer gewinnt die Wahl? Welche Politiker entscheiden? Und wer verhindert die Durchsetzung eines Wahlergebnisses?" Der Frust springt den Zuhörern aus dem Subtext direkt ins Ohr.

Künftig will die hessische SPD also aus der Quasi-Opposition gegen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch ihre Gesetzesvorschläge in den Landtag einbringen. Die linken Parteien haben eine Mehrheit im Landtag, Koch müsste Gesetze trotz eines möglichen Vetos bei wiederholtem Mehrheitsbeschluss ausführen. "Es ist jetzt natürlich alles ein bisschen schwieriger geworden", sagt Andrea Ypsilanti.

Sie meint: Die Schlacht geht weiter. Und ein Ende ist nicht absehbar.