Arbeitsmarkt Kompromiss für Hartz-Reform beschlossen

Nach Zugeständnissen an alle Seiten, wurde nun endlich ein Kompromiss für die so genannte "Hartz-Reform" gefunden. Die Bundesregierung hofft nun auf ein schnelles Anspringen der Konjunktur.

Nach zähen Verhandlungen im Vermittlungsverfahren zur Arbeitsmarktreform, ist es nun zu einem Ergebnis gekommen. Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) hat außerordentlich erleichtert gezeigt. Solche Ergebnisse könne man «nur erzielen, wenn sich alle aufeinander zu bewegen», sagte er im Radiosender B 5 aktuell. «Das hat es seit langer Zeit nicht mehr gegeben, dem messe ich eine außerordentlich hohe Bedeutung bei.» Der jetzt vorliegende Vorschlag beinhalte mehr als die Hartz-Kommission vorgeschlagen habe. «Ich betrachte das als einen großen Fortschritt, der uns viel Bewegung im Arbeitsmarkt bringen wird.»

Zustimmung am Freitag


Eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag hatte sich in zentralen Punkten der Reform am Montagabend auf eine Einigung verständigt. Entgegenkommen zeigte Clement nach Informationen aus Teilnehmerkreisen vor allem bei der steuerlichen Behandlung von haushaltsnahen Dienstleistungen. Dienstag kommt der Ausschuss zusammen, um über den ausgehandelten Kompromiss zu beschließen. Voraussichtlich wird er sich der Empfehlung anschließen. Damit wäre dem zustimmungspflichtigen Teil des Reformpaketes - der die Ausweitung der Minijobs und die Förderung für Existenzgründer regelt - am kommenden Freitag auch die Zustimmung der Unionsmehrheit in der Länderkammer sicher.

"Kanzlermehrheit" reicht aus


Beim nicht-zustimmungspflichtigen Teil, der die Regelungen zu Personal-Service-Agenturen und Leiharbeit enthält, ist zwar mit einem Veto der Länderkammer zu rechnen. Die Koalition kann dieses aber mit ihrer Kanzlermehrheit im Bundestag ebenfalls am Freitag überstimmen. Damit wäre der Weg für die Gesamtreform des Arbeitsmarktes zum 1. Januar frei.

Eines steht fest: Einen weiteren Flop am Arbeitsmarkt kann sich die Regierung nicht mehr leisten. Entgegen allen Versprechungen und Ankündigungen steht es um den deutschen Stellenmarkt schlechter als vor vier Jahren. Rot-Grün will und muss Weichen für eine Beendigung der - auch politisch - verheerenden Jobkrise stellen. Den Hebel dafür sollen die im parlamentarischen Verfahren gerupften Vorschläge der Hartz-Kommission liefern. Hinzu kommt die Hoffnung, dass die Konjunkturlokomotive endlich wieder anzieht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Reform am Arbeitsmarkt gilt als Schlüssel zur Beendigung der Jobkrise und damit als Schritt zu niedrigeren Beiträgen in der Arbeitslosenversicherung. Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement will deregulieren, die Vermittlung beschleunigen und die Schwelle senken, ab der Wachstum neue Arbeitsplätze schafft. Derzeit muss die Wirtschaft um mindestens zwei Prozent zulegen, damit überhaupt Stellen entstehen. Mehr Minijobs und Leiharbeit sollen das Jobwunder einleiten, auch wenn das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr nur zwischen ein bis 1,5 Prozent liegen dürfte.

Was die Regierung vorhat, ist ein großer Schritt, jedoch ohne Erfolgsgarantie. Ob durch die Reform tatsächlich vollwertige neue Arbeitsplätze entstehen, ist offen. Der Vorwurf der Opposition steht im Raum, die Regierung wolle über staatlich organisierte Leiharbeit die Statistik bereinigen, ohne tatsächlich die Arbeitslosigkeit zu verringern. Werden Minijobs wie geplant als Nebenverdienst zugelassen, können sich Arbeitsplatzbesitzer freuen. Arbeitslose dagegen schauen in die Röhre.

Auf Zustimmung angewiesen


Clement ist bei der Umsetzung der Reform in wichtigen Teilen auf die Unterstützung der Union angewiesen. Das erklärt seine Kompromissbereitschaft: Seine Minijob-Regelung liest sich wie ein Vorschlag aus dem Rezeptbuch der Union. Seine Pläne zur Ausweitung der Leiharbeit wären bis vor kurzem in der SPD nicht salonfähig gewesen. Kein Wunder, dass linke Sozialdemokraten und Gewerkschaften vergrätzt sind. Die Grünen dagegen sind zufrieden: Noch Anfang des Jahres ließ sie der Kanzler mit solchen Vorschlägen abblitzen.

Clements Arbeitsmarkt-Rezepte sind eine Gratwanderung zwischen Lockerung und Erhalt sozialer Schutzregeln. Opposition und Arbeitgeber möchten zur Ankurbelung der Wirtschaft möglichst wenig geregelt haben. Ausnahme Leiharbeit: Bei der soll der Staat per Gesetz vorschreiben, dass Arbeitslose, die bei Leiharbeitsagenturen unterkommen, mindestens sechs Monate weit unter Tarif bezahlt werden. Die von den Gewerkschaften argwöhnisch beäugte Regierung will aber Lohndumping wegen der kaum kontrollierbaren Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme verhindern und deshalb die Entlohnung der Leiharbeiter den Tarifparteien überlassen.

Wiederwahl nicht verdient


Nach eigenen Maßstäben hätte die rot-grüne Bundesregierung ihre jüngste Wiederwahl nicht verdient gehabt: Sie scheiterte mit ihrem Vorhaben, zwischen 1998 und 2002 die Zahl der Arbeitslosen - wie vom Kanzler beschworen - «signifikant» zu senken. Schröder nannte sogar im Überschwang optimistischer Konjunkturerwartungen die Zahl von 3,5 Millionen. Doch das Gegenteil trat ein, die Wirtschaft schwächelte, die Jobs bröckelten. Im November 2002 lag die Zahl der Erwerbslosen wieder über der Vier-Millionen-Marke und - fast noch schlimmer - um 80 000 höher als vier Jahre zuvor.

Aus bitterer Erfahrung klug geworden, vermieden sowohl Schröder als auch Clement jede neue Festlegung zum Arbeitsmarkt: Keiner von beiden will sich festnageln lassen, weder für das kommende Jahr, noch für die neue Legislaturperiode. Schlimm genug, dass Clement im Winter neue Hiobsbotschaften nicht wird verhindern können: Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Jobsuchenden bis auf 4,4 Millionen steigen könnte. Vom Ziel, die Arbeitslosigkeit bis Ende 2005 auf zwei Millionen halbieren zu können, redet niemand mehr. Nicht einmal Regierungsexperte Peter Hartz.