ARMUTSBERICHT Lebhafte Debatte

Die Vorlage des ersten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung hat eine lebhafte Debatte über die Verteilung von Einkommen und Vermögen ausgelöst.

Die Vorlage des ersten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung hat eine lebhafte Debatte über die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland ausgelöst. Kirchen, Gewerkschaften, Sozialverbände und Politiker begrüßten die Vorlage grundsätzlich, entdeckten darin jedoch alarmierende Zeichen. Sie forderten Konsequenzen insbesondere zu Gunsten von Kindererziehung, Arbeitslosen und Vermögensbildung für Arbeitnehmer.

Der Regierungsbericht behandelt im wesentlichen den Zeitraum von Anfang der 80er Jahre bis 1998 und damit die Regierungszeit von CDU/CSU und FDP. Laut Bericht hat sich die Kluft zwischen Reich und Arm vor allem bei den Einkommen weiter vergrößert. Insgesamt wird das Privatvermögen auf 8,2 Billionen Mark beziffert. Dabei konzentrierten sich im Westen 42 Prozent und im Osten sogar 48 Prozent des Privatvermögens auf zehn Prozent der reichsten Haushalte. Umgekehrt mussten sich die untere Hälfte der Haushalte mit 4,5 Prozent des Vermögens bescheiden.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) warf die Frage auf, ob die im Grundgesetz vorgeschriebene Sozialbindung des Eigentums eingehalten wird und »ob beim Umgang mit Billionen an Vermögenswerten dem Gemeinwohl hinreichend Rechnung getragen wird«.

Durchgreifende Politik der Umverteilung gefordert

Die IG Metall lobte, erstmals habe eine Bundesregierung »den Mut, vorhandene Schieflagen bei der Verteilung des Reichtums zu dokumentieren«. Jedoch nannte sie die Annahme des Berichts problematisch, »eine Politik der Armutsbekämpfung und des sozialen Ausgleichs sei allein mit den Zielen Wachstumsförderung, Standortsicherung und Beschäftigung hinreichend bestimmt«. Der Regierungsbericht weise selbst darauf hin, dass Arbeitseinkommen häufig zu gering blieben, um aus Armut und Unterversorgung herauszuführen.

Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte forderte eine rasche und durchgreifende Politik der Umverteilung führen. »Wenn 50 Prozent der Bundesbürger lediglich über 4,5 Prozent des Privatvermögens verfügen, dann ist das Anlass für die Politik zur Umverteilung«, sagte Schulte der »Leipziger Volkszeitung«. Die großen Sozialverbände verlangten, »der fortschreitenden sozialen Ausgrenzung verstärkt entgegenzuwirken«. Die Ergebnisse des Berichtes seien »ein Armutszeugnis für ein reiches Land«, erklärte VdK-Präsident Walter Hirrlinger am Mittwoch in Berlin. Barbara Stolterfoht vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband nannte den Bericht »ein höchst alarmierendes Dokument gesellschaftlicher Spaltung«.

Der designierte Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmer (CDA), Hermann-Josef Arentz, nannte den Bericht »ein alarmierendes Zeichen dafür, dass eine Gesellschaft, die das Soziale verdrängt, auseinanderbricht«. Um Armut durch Kinderreichtum zu verhindern, sei ein Familiengeld von 1200 Mark monatlich in den ersten drei Lebensjahren des Kindes nötig. Das anschließende Kindergeld müsse auf 600 Mark monatlich steigen. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels forderte unverzüglich Reformen, insbesondere durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Maßnahmen müssten noch in dieser Legislaturperiode ergriffen werden, forderte das Deutsche Kinderhilfswerk.

Reformbedürftige Sozialsysteme

Die CDU-Familienpolitikerinnen Maria Böhmer und Maria Eichhorn warfen der Bundesregierung vor: »Rot-grün hat die Armut nicht im Griff.« Mit dem Bericht zum Jahr 1998 wolle sie davon ablenken, dass sie ihre Versprechen nicht einlöse. Der FDP-Sozialpolitikers Heinrich Kolb hielt das Sozialsystem für »uneffektiv und dringend reformbedürftig«.

Die SPD-Jugendorganisation Jusos erklärte, die gegenwärtige Regierung habe zwar nicht die Verantwortung für die ungerechter gewordene Verteilung. »Aber sie trägt die Verantwortung dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich mittelfristig wieder mehr geschlossen wird.« Vom nächsten Bericht würde der Nachweis deutlicher Verbesserungen erwartet. Die Grünen-Sozialpolitikerin Ekin Deligöz sprach sich dafür aus, Kinderarmut gezielt und bedarfsorientiert zu bekämpfen.