Berlin³ zur Jamaika-Sondierung Reißt Euch zusammen!

Die Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition sind ein Trauerspiel. Keine Einsicht, nirgendwo. Über vier Parteien, die den Blick auf das große Ganze aus den Augen verlieren.

Geht’s noch? Oder besser: Wie lange geht das noch so? Oder noch besser: Soll das ewig so weiter gehen? Vier Jahre womöglich? Jamaika, vier Parteien, ein Bündnis auf Zeit – wer vorher gesagt hat, das werde einfach, weil in Berlin die Vernunft regiert, irgendwie, oder zumindest die Einsicht in das Notwendige, irgendwann, der muss sich in diesen Tagen eines Besseren belehren lassen. Keine Einsicht, nirgendwo.

Stattdessen: Sturheit bis zum Abwinken. Positionsbehauptungen, die bis an die Grenze der, ja, Lächerlichkeit gehen. Als gehe es darum, einen Vorlesewettbewerb in Wahlprogrammen abzuhalten. Tapfere Mienen zum bösen Spiel. Unterbrochen nur durch Fototermine auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft. Die gibt es dafür reichlich.

Jamaika-Sondierung bislang kein Ruhmesblatt

Nein, was da gerade hinter halb verschlossenen Türen im Berliner Sondierungsraum passiert, ist kein Ruhmesblatt für unsere Demokratie. Im Gegenteil. CDU, CSU, Grüne und FDP sind gerade mit Eifer dabei, die Schattenseiten des gesellschaftlichen Miteinanders herauszuarbeiten, das offensichtlich nur noch ein mühseliges Austarieren von Individualinteressen geworden ist. Es ist die Fortschreibung der Identitätspolitik in kleinstem Parteienkaro.

Der Blick aufs Ganze, womöglich sogar aufs große Ganze – ist flöten gegangen. Schuld haben: alle.

Die bräsige Kanzlerin, die es in dieser frühen Annäherungsphase ganz offenkundig versäumt, Richtlinien klar zu machen, an denen sich die putativen Koalitionspartner orientieren können bzw. sollen.

Der verstockte Seehofer, der die Abwehrreflexe seiner Hintersassen Dobrindt und Scheuer gegenüber jeglichen grünem Gedankengut ungebremst geschehen lässt, als wäre die Republik noch in ihren kulturrevolutionären 80ern.

Die präpotenten Lindner und Kubicki, die ihrerseits so tun, als könnten sie jederzeit nach Diktat verreisen, bloß weil sie sich nicht einkriegen können darüber, dass es die FDP so komfortabel in den Bundestag geschafft hat.

Und die irritierenden Grünen, natürlich, die auch. Die tun so, als hätten sie es komfortabel in den Bundestag geschafft. Haben sie aber nicht, Sie sind die kleinste Nummer im Quartett. Und spucken die größten Töne.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Zwischenbilanz müsste ernüchternd ausfallen 

Nur die Mittelmäßigen sind immer in Hochform, heißt es. Aber die Jamaikaner haben bislang nicht einmal das Mittelmaß erreicht. Alles fehlt: Kreativität, Innovationsfreude, Gestaltungswille. Und, ja, Visionen.

Eine Zwischenbilanz wird heute gezogen. Sie muss ernüchternd ausfallen. Nichts deutet daraufhin, dass die Kennenlernphase in eine Phase des Vertrauens und die wiederum in eine Phase der Konstruktivität übergegangen ist. Das lässt nichts Gutes erwarten.

Sicher, Sondierungen und womögliche spätere Koalitionsverhandlungen haben immer eine eigene Dramaturgie. Keiner will der Erste sein, der von seinen Positionen abrückt. Theaterdonner gehört dazu. Man will ja im eigenen Lager gut dastehen. Aber wenn die Phase dieser Selbstbeharrung zu lang wird, dann kann das, was am Ende herauskommt, schon der Logik nach nicht mehr sein, als ein mühsames Zusammenraufen – ein Kompromiss auf dem kleinstem gemeinsamen Nenner. Ein Gewürge.

Das große Ganze. Es wäre auf der Strecke geblieben. Es ist Tag 40 nach der Bundestagswahl. Bislang – vertane Zeit.